Einblicke Forschungsmagazin 2025 Schwerpunkt: Künstliche Intelligenz

Liebe Leserinnen und Leser, Prof. Dr.-Ing. Jean-Alexander Müller (l.) und Prof. Dr.-Ing. Faouzi Derbel mit großer Freude präsentieren wir Ihnen die neue Ausgabe unseres Forschungsmagazins Einblicke! Dieses Mal widmen wir uns im Schwerpunkt einem der spannendsten Themen unserer Zeit: der Künst- lichen Intelligenz (KI). Tauchen Sie in die vielfältige Forschungslandschaft der HTWK Leipzig ein und entdecken Sie, wie unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Zukunft aktiv mitgestalten. KI ist längst keine Science-Fiction mehr, sondern hält Einzug in nahezu alle Lebensbereiche und verändert sie grundlegend. Sie ist nicht nur ein eigenständiges Forschungsfeld, sondern auch ein Werkzeug, das die Art und Weise, wie wir for- schen, revolutioniert. Durch den gezielten Ein- satz von KI ergeben sich neue Perspektiven und Wege, die uns zu wichtigen Erkenntnissen füh- ren. Dabei ist es oft eine Kombination aus intel- ligenter Digitalisierung – etwa durch die Auto- matisierung von Prozessen – und dem Einsatz fort- schrittlicher KI-Methoden zur Mustererkennung, die unseren Forschenden zum Erfolg verhilft. In dieser Ausgabe bringen wir Ihnen in Interviews und detaillierten Berichten die aktuellen For- schungsaktivitäten der HTWK Leipzig zum Thema KI näher. Dabei beleuchten wir nicht nur die neu- esten technologischen Entwicklungen, sondern reflektieren auch kritisch die Auswirkungen der Digitalisierung und des Einsatzes von KI. Diese Re- flexion bezieht sich sowohl auf die Forschung selbst als auch auf die Anwendung unserer Ergebnisse. Denn die Berücksichtigung wichtiger ethischer Fra- gestellungen und gesellschaftlicher Entwicklungen im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ist unver- zichtbar. Lassen Sie sich von dieser Ausgabe inspirieren und kommen Sie mit uns ins Gespräch! Wir laden Sie herzlich ein, gemeinsam mit uns innovative Ent- wicklungsprojekte anzugehen. Sprechen Sie unsere Professorinnen und Professoren gerne mit Ihren Fragen oder Ihren Ideen zu Transfer und Innova- tion an. Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre. Ihr Prof. Dr.-Ing. Jean-Alexander Müller, Rektor der HTWK Leipzig Ihr Prof. Dr.-Ing. Faouzi Derbel, Prorektor für Forschung und Nachhaltigkeit Editorial 3

Inhalt In Zahlen S. 6 Forschungsstatistik 2024 der HTWK Leipzig: Drittmittel – Finanzvolumen – Personal und Promovierende S. 50 Im Reallabor testen Forschende, wie sich Keime im Klassenzimmer verbreiten Schlaglichter S. 33 Maschinenbau: Stabilität für schwache Knochen Dissertationspreis 2024 für Dr. Christoph Oefner S. 34 Karrierewege: An der HTWK Leipzig promoviert – und dann? Vier Promovierte im Portrait S. 36 Bauwesen: Beton recyceln Das Institut für Betonbau entwickelt Carbonbeton aus recycelten Materialien S. 37 Messtechnik: Organische Photovoltaik Solarzellen aus Kohlenstoff-Verbindungen sind halbdurchlässig – ein Vorteil in der Landwirtschaft S. 38 Umweltökonomik: Klimaschutz geht nur gemeinsam Lösungsansätze für das Kooperations- problem im internationalen Klimaschutz vorgestellt S. 40 Elektrotechnik: So erkennen Radare Drohnen Deutsch-japanische Partner entwickeln neue Radarsysteme S. 44 Gründungsberatung: Einfach machen Im Makerspace der Startbahn 13 entstehen Prototypen S. 46 Architektur: Reallabor für den Holzbau der Zukunft HolzBauForschungsZentrum der HTWK Leipzig eröffnet S. 48 Journalistik: „Es bräuchte mehr Zeit für Recherche“ Prof. Gabriele Hooffacker im Interview S. 50 Maschinenbau: Licht gegen Viren Ein neuer Versuchsraum zeigt die Ausbreitung von Keimen im Klassen- oder Wartezimmer S. 52 Physik: Wie realistisch sind James-Bond-Filme? Prof. Guido Reuther begeisterte beim Wissenschaftskino S. 54 Maschinenbau: Windkraft-Rotorblätter wiederverwenden Kreislaufwirtschaft für Verbundwerk- stoffe aus Windkraft und Luftfahrt etablieren S. 42 Medizintechnik: Biegsam und schonend Verbesserte Instrumente für die Augenchirurgie entwickelt S. 56 Wirtschaftswissenschaften: Klimaschutz in Unternehmen Studie erfasst Carbon-Management entlang der Lieferkette S. 43 Kolumne: Forschungsnachlass Wohin mit dem Erbe vergangener Forschungsprojekte? S. 57 Blick zurück: Beton kleidet Einem Modefoto aus der Einblicke vor zehn Jahren auf der Spur S. 58 Dieses tolle Ding … Pulverscherzelle von Anton Paar Technik an der HTWK Leipzig vorgestellt S. 59 Impressum und Fördernachweise 5

In Zahlen 403 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter … wurden 2024 aus Dritt- und Sondermitteln sowie den Unterstützungsmitteln des „Zukunfts- vertrags Studium und Lehre stärken“ und der „Angewandten Digitalisierung“ finanziert. Sie ar- beiten in zahlreichen Forschungsvorhaben, in Projekten zur Internationalisierung, in der Lehre und in vielen Bereichen zur Verbesserung der Studienbedingungen. Alle zusätzlichen Stellen tragen maßgeblich zum Innovationspotenzial und zur Leistungsfähigkeit der Hochschule bei. Entwicklung 2020–2024 Beschäftigte aus Dritt- und Sondermitteln Stellen Promotionsvorhaben in Kooperation mit Universitäten 88 Promovierende … wurden 2024 von Professorinnen und Professoren der HTWK Leipzig bei ihrem Promotionsvorhaben in Koopera- tion mit einer Universität betreut. 3) Vollzeitäquivalente | Alle Angaben zum Stichtag 31.12.2024, soweit nicht anders angegeben 7

1950 Alan Mathison Turing entwickelt den Turing-Test, um herauszufinden, ob Maschinen denken können Intro Kaum eine technische Errungenschaft hat in jüngster Zeit so viel Aufmerksamkeit erhalten wie Künstliche Intelligenz (KI). Dabei sind die Gren- zen dessen, was genau unter KI fällt, unscharf. Der Begriff wird je nach Kontext unterschiedlich verwendet: in der Technik, in der Forschung, in den Medien und im Alltag. Im Kern bezeichnet er verschiedene Systeme, die Aufgaben über- nehmen, die bisher als Alleinstellungsmerkmal menschlicher Intelligenz galten: Von KI ist die Rede, wenn Maschinen menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Krea- tivität erfolgreich imitieren. Mit der Einführung von Text- und Bildgenerato- ren wie ChatGPT im Jahr 2022 ist KI blitzartig der breiten Gesellschaft ins Bewusstsein getreten. Ge- nerative KI ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Erste Ansätze für KI reichen mehr als 70 Jahre zu- rück. Bereits 1950 beschäftigte sich der britische Mathematiker und Informatiker Alan Mathison Turing mit der Frage, ob Maschinen denken kön- nen. Den Begriff „Artificial Intelligence“ verwen- dete der US-amerikanische Informatiker John McCarthy im Jahr 1956 erstmals in einem Förder- antrag für eine Konferenz am Dartmouth College, die als erste KI-Konferenz gilt. In der Anfangsphase versuchten Forschende, KI mithilfe mathe- matisch-logischer Verfahren regelbasiert zu modellie- ren. Dieser Ansatz wird heute klassische oder symbolische KI genannt. Ab den späten 1990er Jahren verlagerte sich der Fokus zunehmend auf eine andere Herangehensweise: Statt auf vordefi- nierte Regeln setzten Forschende nun auf Verfah- ren, bei denen die KI große Datenmengen analy- siert und daraus eigenständig Muster und Regeln ableitet – das sogenannte maschinelle Lernen. Ein zentraler Ansatz dabei ist der Einsatz künst- licher neuronaler Netze, die sich am Aufbau des menschlichen Gehirns orientieren. Als biologi- sches Vorbild dienen beispielsweise die Verbin- dungen zwischen Nervenzellen: die Synapsen. An der HTWK Leipzig, einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften, spielt die Tech- nologie vor allem in Form angewandter KI eine Rolle: Forschende entwickeln Algorithmen, die menschliche Bewegungen analysieren und somit Fortschritte im Sport und in der Medizin ermög- lichen. Andere bauen Messsysteme, die im Zu- sammenspiel von Sensoren und KI Straßen und Brücken überwachen und so für eine rechtzeitige Reparatur und längere Lebensdauer von Infra- strukturen sorgen. Maschinelles Lernen ermög- licht es dabei, deutlich größere Datenmengen in kürzerer Zeit als der Mensch zu analysieren und darin Muster zu erkennen. Somit können For- scherinnen und Forscher aus nahezu allen Diszi- plinen verschiedenste neue Ansätze entwickeln, um Probleme zu lösen und Wissen zu generieren. Kurzum: Künstliche unterstützt menschliche In- telligenz und ist dabei, sich sukzessive einen fes- ten Platz im Repertoire angewandter Forschung zu erobern. — kh 1956 Der Begriff „Artificial Intelligence“ taucht erstmals auf 9

00101001010101 Interview 01001010101 Prof. Dr. Ina Fichtner (*1978) ist seit 2022 Professorin für mathematische Systemtheorie an der HTWK Leipzig. Zuvor leitete sie den Fachbereich MINT am Institut für Angewandte Trainingswissen- schaft in Leipzig und forschte dort zu KI-Anwendungen im Sport. Sie studierte in Jena, Dresden und Sheffield Mathematik und Infor- matik und promovierte in Dresden und Leipzig zur Theoretischen Informatik und Grundlagen von KI für die Erkennung / Charakteri- sierung von gewichteten Bildern. Sie forscht schwerpunktmäßig zur Automatentheorie, Bilderkennung und angewandter Bildauswer- tung in der Sportphysik. Prof. Dr. Andreas Both (*1979) ist seit 2022 Professor für Softwarearchitektur sicherer Sys- teme an der HTWK Leipzig und Leiter der Forschungsgruppe Web & Software Engineering (WSE). Zuvor war er Professor für Web Engineering der Hochschule Anhalt. Nach dem Informatik-Studium in Halle promovierte er zu Service- orientierten Software-Architekturen und Komponentensystemen. Da- nach arbeitete er in verschiedenen leitenden Position in Forschung und Entwicklung in der freien Wirt- schaft, zuletzt als Head of Research beim Softwareanbieter DATEV. Künstliche Intelligenz ist in aller Munde – wie definieren Sie den Begriff? Ina Fichtner: KI ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Entwick- lung von Algorithmen und Systemen beschäftigt, die in der Lage sind, in- telligente Aufgaben zu lösen, die nor- malerweise von Menschen erledigt werden. Andreas Both: So definiere ich es auch: KI sind Systeme, die menschenähnli- che kognitive Fähigkeiten nachahmen oder simulieren können. Dazu gehört: Informationen verarbeiten und inter- pretieren können, aus Daten und Er- fahrungen lernen können, Entschei- dungen treffen oder Empfehlungen geben können, mit Menschen und ihrer Umwelt interagieren können und vieles mehr. Oftmals wird zwischen schwacher und starker KI unterschieden. Was bedeutet das? Both: Schwache KI-Systeme sind auf spezielle Aufgaben optimiert beziehungsweise darauf beschränkt. Starke KI-Systeme wiederum können viele Aufgaben aus verschiedenen Domänen lösen – jede intellektuelle Aufgabe, die auch ein Mensch lösen kann. Diese starke KI im allgemeinen Sinne gibt es Stand heute noch nicht. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit KI-Systeme existieren, die einen extrem großen Anteil der menschlichen Aufgaben mindestens genauso gut wie wir lösen können. 11110001010101 010010101010101 11

Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir in- nerhalb weniger Jahre erleben könn- ten, dass viele Aufgaben, die bisher nur durch Menschen erledigt wurden, automatisiert werden. Dafür ist es auch nicht nötig, dass eine echte „In- telligenz“ entwickelt wird, sondern nur sehr robuste, flexibel einsetz- bare KI-Systeme. Daran forsche ich mit meiner Arbeitsgruppe intensiv. Fichtner: Es gibt den Begriff der prin- zipiellen Berechenbarkeit in der Theo- retischen Informatik. Das ist eines meiner Lieblingsgebiete der Infor- matik und darüber spreche ich viel in meinen Vorlesungen. So gesehen gibt es eine Art Grenze – aber sie schließt uns Menschen ein. Jedoch denke ich, dass Mathematik und Informatik die- se Ebene von Intelligenz erreichen kann, gegebenenfalls mithilfe völlig anderer Technologien. Ein Software-Spezialist von Google plädierte für die Abschaltung einer Sprach-KI-Anwendung, weil er darin Bewusstsein erkannt haben will. Ist Künstliche Intelligenz „nur“ ein Re- chenwerkzeug oder kann sie irgend- wann echtes Verständnis entwickeln? Fichtner: KI ist derzeit ein Rechen- werkzeug, das auf Algorithmen und Daten basiert. Bisher deutet nichts darauf hin, dass sich das so schnell ändert. Aber was in 200 Jahren sein wird? Ich denke, dass es möglich ist. Both: Per Definition handelt es sich nicht um ein bewusstes Denken, auch wenn die von heutigen Large-Lan- guage-Modellen erzeugten Texte auf- grund ihrer Konsistenz den Eindruck vermitteln, dass ein eigenständiger Gedanke dahinterstehen muss. Das ist aber falsch, es ist und bleibt nur 1982 John Hopfield stellt ein neuronales Netzwerkmodell vor, das sich am menschlichen Gedächtnis orientiert Interview 01001010101010111010101111 „Maschinelles Lernen und künstliche neuronale Netze sind für aktuelle KI-Systeme die wichtigsten technischen Prinzipien. Für das Training von kom- plexen Mechanismen werden dabei sehr große Datenmengen genutzt“ Prof. Dr. Andreas Both, HTWK Leipzig 13

„Aktuell kommen wir an unsere Grenzen, da keine allgemeingültige Technologie existiert, die das konkrete Verhalten von großen statis- tischen KI-Systemen erklärt“ Prof. Dr. Andreas Both, HTWK Leipzig Interview 01001010101010111010101111 Both: Ich gehe davon aus, dass in praktisch allen Anwendungsfeldern KI-Technologien eine immer stärke- re Durchdringung erreichen werden. In Bereichen wie Medizin, beispiels- weise bei der Analyse von Röntgen- bildern, sehen wir bereits jetzt, wie teure Maßnahmen durch KI- Verfahren ergänzt und ersetzt wer- den können. Idealerweise führt dies zu einem kosteneffizienteren und besseren Gesundheitssystem. Aber es gibt noch viele weitere Anwendungs- felder. Schlussendlich muss man die aktuellen Entwicklungen als Chance sehen, die insbesondere in unserer Region das Potenzial hat, die wirt- schaftlichen Angleichungsprozesse voranzutreiben. wie Mistral aus Frankreich, von An- bietern aus den USA und China do- miniert. Die politische Weltlage zeigt uns, dass diese Situation als Macht- instrument und als Waffe genutzt wer- den kann. Sei es, indem Europa von der Nutzung abgeschnitten wird, oder beispielsweise Extragebühren zahlen muss, welche die Konkurrenzfähig- keit unserer Produkte verringern. Sogar gegen unser politisches System kann es verwendet werden. Hier sind wird leider einem großen Risiko aus- gesetzt. Both: Wenn ich mir eine KI der Zukunft vorstelle, die in der Lage ist, einen multimodalen Kontext, insbesondere auch mit Umgebungsdaten, zu inte- grieren, transparent und kollaborativ mit Menschen zusammenzuarbeiten sowie vorgegebene Anweisungen und Regeln garantiert zu beachten, dann glaube ich an eine sichere, selbstbe- stimmte, eingebettete KI-Nutzung, welche die Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und die Menschheit ins- gesamt weiter voranbringen wird, als es aktuell absehbar ist. Stellen Sie sich bitte eine KI der Zukunft vor: Was wäre Ihr Wunsch, was sie können sollte? Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Katrin Haase. Und was sind die größten Risiken? Both: Wir haben uns in Europa und Deutschland bei KI-Technologien in eine große Abhängigkeit begeben. Praktisch wird dieses Technologiefeld, abgesehen von wenigen Ausnahmen Fichtner: Mein Wunsch wäre, dass sie in der Lage ist, komplexe Probleme zu lösen, die menschliche Intelligenz zu unterstützen und zu erweitern, ohne jedoch die menschliche Autonomie und Würde zu gefährden. Dazu gehört das Lösen von aktuellen globalen Pro- blemen der Welt. 0010100101010101000011 1991 Jürgen Schmidhuber entwickelt eine neue Netzwerkstruktur, bei der sich die Verbin- dungen im System dynamisch anpassen 15

Computer Vision Wie KI Bewegungen analysiert Text: Sven Heitkamp Die Forschenden im „Laboratory for Biosignal Proces- sing“ analysieren mit Künstlicher Intelligenz mensch- liche Bewegungsabläufe – sei es beim Sport, in der Medizin oder in der Autoindustrie. Ein Hausbesuch am Campus Eilenburger Straße der HTWK Leipzig. 17 010101010001110111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001001111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100010111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001110111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001001111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011011110101101010101000011111000001101000101010100011100111110010101000001111100101010000101001010101010000110010101011010001110111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001001111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100010111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001110111101011010101010000111110000011010001010101000111001111100101010000011111001010100001010010101010100001100101010101010001001111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100010011110101101010101000011111000001101000101010100011100111110010101000001111100101010000101001010101010000110010101010101000111011110101101010101000011111000001101000101010100011100111110010101000001111100101010000101001010101010000110010101010101000101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100011101111010110101010100001111100000110100010101010001110011111001010100000111110010101000010100101010101000011001010101010100010011110101101010101000011111000001101000101010100011100111110010101000001111100101010000101001010101010000110010101010101000111011110101101010101000011111000001101000101010100011100111110010101000001111100101010000101001010101010000110010101010101000111

2000er „Big Data“ nimmt Fahrt auf: Immer mehr Rechenleistung erlaubt es, immer mehr Daten zu sammeln und auszuwerten Was ist maschinelles Lernen? Maschinelles Lernen (ML) ist ein Teilbereich der Künstlichen Intel- ligenz. Computer werden dabei zum Lösen eines Problems nicht mithilfe von Regeln program- miert, sondern erlernen diese bei einem Training mit sehr vielen Daten selbstständig. ML-Algo- rithmen und künstliche neuro- nale Netze helfen dabei, Muster und Zusammenhänge in den Daten zu erkennen, und können darauf basierend Vorhersagen oder Entscheidungen treffen. hat bereits mehrere Forschungspro- jekte zur Technologieentwicklung unterstützt. Inzwischen wurde ein System auch im Strömungskanal des Olympiastützpunkts Potsdam instal- liert. Dort können mit zwei Kameras dreidimensionale Aufnahmen aus- gewertet und den Sportlerinnen und Sportlern individuelle Hinweise in Echtzeit gegeben werden. Außerdem werden mittlerweile internationale Wettkämpfe vom Ufer aus aufgenom- men. Damit soll die neue Software den Kanutinnen und Kanuten Tipps zu besseren Fahrtaktiken liefern. Mög- lich macht das KI – denn was für uns Menschen einfach erscheint, zum Beispiel in einem Bild zu erkennen, wo sich die Hände einer Person be- finden oder einen Bildpunkt zu berüh- ren, der zu einem Paddel gehört, ist für den Computer zunächst nur eine riesige Zahlenwolke. Ohne moderne KI-unterstützte Verfahren zur Muster- erkennung wäre eine automatische Analyse der Bilder und Videos nicht möglich. Weil es diese Verfahren aber gibt, können wir heute Videodaten re- produzierbar und objektiv in viel grö- ßerem Umfang verarbeiten, als ein Mensch das könnte. „Heute nutzt der Bundestrainer des Deutschen Kanu-Verbands mit seinem Team unsere Technologien, um Höchst- leistungen zu erreichen“ Prof. Dr.-Ing. Mirco Fuchs, HTWK Leipzig Echtzeittipps im Strömungskanal Die Entwicklung der Softwarelösung basiert auf einer engen Zusammen- arbeit mit dem Institut für Angewand- te Trainingswissenschaft (IAT), einem nationalen Kompetenzzentrum in Leipzig. Vor einigen Jahren stellte Fuchs den Sportkoryphäen die Mög- lichkeiten seines Labors für mehrere Sportarten vor – und aus seiner klei- nen Präsentation wurde eine fruchtba- re Zusammenarbeit. „Heute nutzt der Bundestrainer des Deutschen Kanu- Verbands mit seinem Team unsere Technologien, um Höchstleistungen zu erreichen“, erzählt Fuchs. Auch das für die nationale Sportförderung zuständige Bundesinnenministerium  HTWK-Forscher Daniel Matthes filmt ein Qualifikationsrennen im Kanurennsport. Eine vom LaBP entwickelte Software analysiert dabei in Echtzeit die Ruderbewegungen und die Geschwindigkeit der Olympioniken 19

Computer Vision einer videobasierten, objektiven Ana- lyse die sich häufig wiederholenden Bewegungsabläufe seiner Beschäftig- ten in der Automontage ergonomisch bewerten – und das LaBP fand eine Lösung: In Videos, die mit einer ein- fachen Kamera gefilmt werden kön- nen, erkennt die Software Schultern, Rücken und Knie der Beschäftigten und berechnet die Winkel der Gelenke und Bewegungsverläufe. Die ermittel- ten Daten gleicht die KI mit vorhan- denen Ergonomie-Leitlinien ab und stellt die Körperbelastungen in den Ampel-Farben dar. Mithilfe des Systems können „rote“ überlastete Fehlstellungen erkannt und körperliche Beschwerden vermie- den werden. So bleiben die Gesund- heit und die Arbeitskraft der Mitarbei- tenden länger erhalten. Das System unter dem Namen „Humen dynamics“ – abgeleitet von „human engineering“ – schafft umfassendere Perspektiven als die klassische Beobachtung durch Arbeitsschutzexperten, erklärt Fuchs. Und „Humen dynamics“ entwickelte sich zum Erfolgsmodell. Seit 2019 wird es in Kooperation mit dem Nürnberger Institut für Gesundheit und Ergono- mie (IGR) bundesweit vertrieben und in Ergonomie-Schulungen eingesetzt. „Humen dynamics ist heute in vielen Betrieben in Deutschland im Einsatz“, erzählt Fuchs. Die Einnahmen aus solchen Projekten helfen, neue For- schungsprojekte des LaBP zu finanzie- ren. Ideen und Anwendungsfälle gibt es viele – die Liste der potenziellen Forschungsthemen ist lang. Auch ein neues Projekt zur Taktikanalyse mit dem Deutschen Handballbund und 2012 Ein neuronales Netzwerk erkennt mittels Deep Learning erstmals Objekte auf Bildern Prof. Dr.-Ing. Mirco Fuchs dem IAT ist schon beantragt. Vielleicht hilft es eines Tages sogar, die über- mächtigen Handball-Weltmeister aus Dänemark zu stoppen. Ganz ohne ma- gischen Spiegel, dafür mit ausgefeilter KI für Bewegungsanalyse. — Prof. Dr.-Ing. Mirco Fuchs (*1982) ist seit 2022 Professor für Computer Vision und Maschinelles Lernen. Der Leipziger hat bereits an der HTWK Leipzig Elektrotechnik studiert und als Doktorand und Postdoc geforscht, auch in Zusam- menarbeit mit dem Max-Planck- Institut für Kognitions- und Neuro- wissenschaften. 2010 gründete er das Laboratory for Biosignal Processing mit. Fuchs entwickelt mithilfe Künstlicher Intelligenz Algorithmen, mit denen Erkennt- nisse aus Kamerabildern gewonnen werden können. Seit Ende 2023 ist er Prodekan für Forschung der Fakultät Ingenieurwissenschaften. 21

Sensorik Wie KI Straßen sicherer macht Text: Dr. Franziska Böhl Künstliche Intelligenz kann bei der Straßensanierung unter- stützen: Geotechniker und Elektroingenieure der HTWK Leipzig und des FTZ Leipzig entwickeln mittels Sensoren und KI ein Messsystem für die Wartung von Straßen. Dieses soll die reale Verkehrsbelastung messen und eine vorausschau- ende Planung von Sanierungen ermöglichen. Wir waren beim ersten Funktionstest außerhalb des Labors dabei. 23

Auf dieser Straße in Frohburg müssen sich die Sensoren und die KI erstmals in der Realität beweisen Vom Labor auf die Straße Einen wichtigen Schritt in diese Rich- tung bietet der heutige Funktionstest unter realen Bedingungen. Dafür bauen die Forscher die Sensoren in die sogenannte Tragschicht ein – also direkt unter die oberste Deckschicht der Straße. Ein heikler Moment für die Technik: Diese muss zum einen die Einbautemperatur des frischen Asphalts von etwa 150 Grad Celsius überstehen und zum anderen die me- chanische Beanspruchung durch die Walze aushalten, mit der die obere Deckschicht verdichtet wird. In der Machbarkeitsstudie testen die For- schenden fortan mehrere Prototypen mit verschiedenen Sensoren. So wol- len sie prüfen, wie das neue System in den nächsten Wochen und damit mit- telfristig funktioniert. „Wir haben unter anderem verglichen, wie teurere und kostengünstigere Sensoren funktionieren und wie sie auf Impulse aus Krafteinwirkungen reagieren. Ein gutes Sensorsystem muss nicht nur valide Ergebnisse liefern, sondern auch wirtschaftlich einsetzbar sein“ Prof. Dr.-Ing. Gerold Bausch, HTWK Leipzig Entwickelt wurde das Messsystem von Gerold Bausch, Professor für Eingebet- tete Systeme und Signalverarbeitung, und seinem Team von der Forschungs- gruppe „Electronic Engineering Lab“ (EEL) am FTZ Leipzig: Dafür evaluier- ten sie zu Projektbeginn unterschied- liche Beschleunigungssensoren und setzten sie in einem Laboraufbau unterschiedlichen Bewegungsformen aus. „Wir haben unter anderem vergli- chen, wie teurere und kostengünstige- re Sensoren funktionieren und wie sie auf Impulse aus Krafteinwirkungen reagieren. Ein gutes Sensorsystem muss nicht nur valide Ergebnisse lie- fern, sondern auch wirtschaftlich ein- setzbar sein“, so Bausch. 25

die Lebensdauer von Straßen zu prog- nostizieren. „Mit unserem System wollen wir einen Beitrag für eine vorausschauende, moderne und effiziente Bestandsauf- nahme des kommunalen Straßen- netzes leisten. Ein flächendeckendes Monitoring wird damit möglich, dank erschwinglicher Technik und sinnvoll eingesetzter Künstlicher Intelligenz“, sagt Projektleiter Thiele. Perspekti- visch bedeutet das: Wenn jede Kom- mune ihre Straßen in Zukunft kosten- günstig überwachen kann, wird aus bisherigem Flickwerk auf Straßen eine vorausschauende Instandhal- tung. So könnte aus dem Forschungs- projekt eine Lösung für ein bundes- weites Problem werden, das Straßen sicherer, nachhaltiger und intelligen- ter macht. —  Die Sensoren und die KI erfassen die Verkehrsbelastung Prof. Dr.-Ing. Ralf Thiele (l.) und Prof. Dr.-Ing. Gerold Bausch Prof. Dr.-Ing. Ralf Thiele (*1963) ist seit 2006 Professor für Bodenmechanik, Grundbau, Fels- und Tunnelbau an der HTWK Leipzig. Hier entwickelte der promovierte Bauingenieur den Forschungsbereich Geotechnik, zu dem die Forschungsgruppe „G2 Gruppe Geotechnik“ und die Transfergruppe „Geonetic“ gehö- ren. Daraus ging 2024 das neu gegründete Institut für Geotechnik Leipzig (IGL) hervor. Zudem war Thiele von 2019 bis 2023 Prorektor für Forschung der HTWK Leipzig. Prof. Dr.-Ing. Gerold Bausch (*1979) wurde 2019 auf die Stif- tungsprofessur für Eingebettete Systeme und Signalverarbeitung an der HTWK Leipzig berufen. Der promovierte Elektroingenieur forschte zuvor seit 2013 in der Arbeitsgruppe „Laboratory for Biosignal Processing“. Im Jahr 2020 übernahm er die Arbeits- gruppe „Electronic Engineering Lab“, die sich mit der Entwick- lung von Sensorsystemen auf Basis eingebetteter Systeme befasst und an der Auswertung von Messsignalen forscht. 27

2024 Der AI Act schafft einheitliche gesetz- liche Regeln für den Einsatz von KI in der Europäischen Union Der erste Audi Autonomous Driving Cup (AADC), ein Wettbewerb zum autonomen Fahren, regte Schwarz und fünf hochmotivierte Studierende im Jahr 2014 zur Gründung der stu- dentischen Forschungsgruppe an. Be- reits in jenem Jahr schafften sie es als einziges Team einer Hochschule aus Ostdeutschland, zu den Ausgewählten zu gehören, die am Wettbewerb teil- nehmen durften. „Es war auch in den folgenden Jahren immer toll, als eines von zehn Bewerberteams die Voraus- wahl an den AADC zu bestehen und sich im Wettbewerb stellen zu dürfen“, so Schwarz. Bei solchen Wettbewerben werden realitätsnahe Situationen im Straßen- verkehr nachgebildet. In Parcours können die Nachwuchstalente ihre Programmierfähigkeiten und die Soft- ware demonstrieren, mit der sie die dafür bereitgestellten Fahrzeuge ver- knüpft haben. So müssen die Modell- autos beispielsweise autonom schwie- rige Einparksituationen meistern oder mit plötzlich auftauchenden Hinder- nissen umgehen. Die Teilnehmenden können dabei nicht nur ihr Know-how unter Beweis stellen, sondern auch Kontakte zu potenziellen Arbeitge- bern knüpfen, denn schließlich ist das hier erprobte Wissen in der Automo- bilbranche höchst gefragt. Die Corona-Pandemie drückte auf die Bremse: Der AADC wurde ein- gestampft und das Smart-Driving- Team pausierte. Im Sommer 2022 startete die Gruppe in neuer Zusam- mensetzung wieder durch. „Aktuell konzentrieren wir uns darauf, vor- handene ältere Modellfahrzeuge mit neuer Hard- und Software aus- zustatten“, erklärt Teamsprecher Jan Philipp Seeland, der diese Arbeit im Prof. Dr. Sibylle Schwarz Rahmen seines Masterprojekts orga- nisiert und anleitet. Weitere aktuelle Schwerpunkte sind die Simulation von Fahrzeugen und Flotten in flexibel gestaltbaren Umgebungen sowie die Sicherheit beim autonomen Fahren. Auch damit befassen sich Studierende im Rahmen von Seminaren, Projekten, Bachelor- und Masterarbeiten. Derzeit arbeitet das Team mit fünf Fahrzeugen verschiedener Bauart. An den Modellautos mit unterschied- lichen technischen Ausstattungen er- probt das Team verschiedene Ansätze. Nicht jede Konfiguration eignet sich für aufwendige Berechnungen, die bei den derzeit üblichen großen KI- Modellen unvermeidbar sind. An der neuesten Errungenschaft im Fuhr- park des Teams ist das aber möglich: Das Fahrzeug kam 2024 von der Firma Sedenius, einem Leipziger Entwick- lungsbüro für Fahrerassistenzsyste- me. Das per Funk steuerbare Modell- auto im Maßstab 1:10 ist zusätzlich mit einem leistungsstarken Prozessor und Prof. Dr. Sibylle Schwarz (*1966) ist seit 2013 Professorin für Theoretische Informatik an der HTWK Leipzig. Zuvor war sie seit 2008 Professorin an der West- sächsischen Hochschule Zwickau. Sie forscht unter anderem zum autonomen Fahren, theoretischer Informatik, logischem Schlie- ßen nach ethischen Prinzipien, Künstlicher Intelligenz sowie zur Integration aktueller Robo- tik-Themen in die Lehre. Zudem hat sie an der HTWK Leipzig von 2016 bis 2018 das Robotik-Schul- labor „RobertaRegioZentrum“ (jetzt RoboCreators) aufgebaut. verschiedenen Sensoren wie Kamera, Lidar- oder Ultraschall-Sensoren aus- gestattet – notwendige Komponenten zum autonomen Fahren. „Dank des technisch gut ausgestatteten Modell- fahrzeugs können wir uns voll auf die Entwicklung der Software konzent- rieren“, so Seeland. Die Kooperation wollen sie fortsetzen und demnächst auch wieder an verschiedenen Wett- bewerben teilnehmen. — frb 29

Forschungsperspektiven Forschungsperspektiven Im Fotowettbewerb Forschungs- perspektiven sind alle Forschen- den der HTWK Leipzig seit 2015 dazu aufgerufen, ein besonders gelungenes Foto aus dem For- schungsalltag einzureichen. Die Jury, bestehend aus Forschungs- referent Dirk Lippik, Katrin Haase aus der Forschungskommunika- tion, Dr. Franziska Böhl aus dem Forschungsmarketing sowie dem Fotografen Swen Reichhold, krön- te 2024 gleich vier Gewinnerbilder. Jedes eingereichte Bild wird unter Gesichtspunkten wie Fotoqualität, Umsetzung der Bildidee, Einzig- artigkeit und Bildkomposition be- wertet. So kam es, dass zwei Bil- der die Zweitplatzierung erhielten. 31 2. Mixed Reality im Laboralltag – Herrmann Busse, Lorenz Spillecke Der erste Platz des Fotowettbewerbs geht an Florian Muschka (links), Anika Mühl (rechts) und Sammy Schließer (Fotografie). Das Foto „Tran- sistoren im Tampondruck“ zeigt die Forschenden der Druck- und Ver- packungstechnik bei der Charakterisierung von gedruckten organisch elektrochemischen Transistoren (OECT). Diese eignen sich aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit und der Kompatibilität mit wässrigen Umgebungen ideal für Sensoranwendungen, beispielsweise in der Medizintechnik zur Glukosemessung. Die Transistoren stellten die Forschenden mittels Tampondruck her, einem Tiefdruckverfahren aus der grafischen Industrie, das sich besonders für gewölbte und un- ebene Oberflächen eignet. Mühl untersucht in ihrer Masterarbeit den Einfluss von Prozessparametern auf die Druckqualität und Leitfähig- keit von Silberstrukturen im Tampondruck. Muschka erforscht das Druckverfahren für dichtungsintegrierte Sensorik. — kh Den zweiten Platz erhalten die Bauingenieure Herrmann Busse (Fotografie) und Lorenz Spillecke (Bildbearbeitung) für eine Bildmon- tage, die ihre Vision des zukünftigen Arbeitsalltags im bodenmecha- nischen Labor zeigt. Durch Mixed Reality, bei der reale und virtuelle Objekte in Echtzeit miteinander interagieren, könnten Laborantinnen und Laboranten zusätzlich zur reellen Situation kontext-bezogene Inhalte sehen. Mithilfe einer Mixed-Reality-Brille wird beispielsweise der Blick in die Probe hinein möglich. Diese Vision könnte Informa- tionen schneller verfügbar machen und miteinander vernetzen, aber auch dezentrale Weiterbildungen ermöglichen. Busse promoviert der- zeit an der Technischen Universität Berlin und an der HTWK Leipzig über die Interpretation von Drucksondierungsdaten, gemeinsam mit Spillecke entwickelt er in einem Forschungsprojekt ein Messsystem für die Beanspruchung des Straßennetzes (siehe S. 22 ff.). — kh

Dissertationspreis 2024 Stabilität für schwache Knochen Osteoporose ist die häufigste Erkrankung des Ske- lettsystems im höheren Lebensalter. In Deutsch- land sind über sechs Millionen Menschen ab 50 Jahren betroffen. Wenn die Knochen porös wer- den, steigt das Risiko für Brüche. Patientinnen und Patienten mit Osteoporose brauchen dann oft Implantate, um die Knochen zu stabilisieren. Doch bei brüchigem Knochenmaterial versagen klassische Schraubenverankerungen häufig. Wie lassen sich Implantate trotzdem sicher und lang- lebig verankern? Mit dieser Frage beschäftigte sich Dr. Christoph Oefner mit Blick auf die Wirbelsäule in seiner Pro- motion – und wurde dafür mit dem Dissertations- preis 2024 der Stiftung HTWK ausgezeichnet. Der Maschinenbauabsolvent der HTWK Leipzig pro- movierte im kooperativen Verfahren von 2017 bis 2023 an der Medizinischen Fakultät der Universi- tät Leipzig und an der HTWK Leipzig. Dabei wur- de er durch ein Promotionsstipendium der Hoch- schule unterstützt. In seiner Arbeit verband er ingenieurwissenschaftliche Methoden mit medi- zinischen Fragestellungen: Er übertrug Konzepte der Betriebsfestigkeit aus dem Maschinenbau auf den menschlichen Knochen, schuf ein digitales Modell zur Lebensdauerabschätzung von Implan- tatverankerungen und zeigte Wege zur Bewertung der Gültigkeit dieses Modells auf. Zusätzlich stellte Oefner dar, welche Einflussgrößen, wie beispiels- weise ein größerer Schraubendurchmesser, die Verankerungslebensdauer erhöhen können. Die Ergebnisse seines neuartigen Ansatzes va- lidierte er mit Körperspenderdaten. Für den klinischen Alltag ist seine Forschung hilfreich: In seiner Promotion trifft Maschinenbau auf Medizin: Dissertationspreisträger Dr. Christoph Oefner Ärztinnen und Ärzte könnten perspektivisch mit dem digitalen Modell Implantate individueller auswählen, Eingriffe besser vorbereiten und erst- mals konkrete Aussagen zur Verankerungslebens- dauer von Implantaten treffen – ein Gewinn für die Betroffenen. Heute arbeitet der 34-jährige promovierte Maschi- nenbauer als Berechnungsingenieur bei Siemens Energy in Leipzig. Dort beschäftigt er sich mit Rotordynamik und Festigkeitsanalysen von Turbo- verdichterbaugruppen – ein Arbeitsfeld, in dem wie in der Promotion Belastungen und Simulatio- nen im Fokus stehen. — frb 33

Fabian Görgen Prof. Dr. Ulrike Igel Zu heiß, zu trocken, zu viel Feinstaub – in vielen Städten gibt es Orte, die dem Klimawandel nicht gewachsen sind. Sie angenehmer zu gestalten, das hat sich Fabian Görgen vorgenommen. Der gebürtige Stuttgarter interessierte sich schon früh für Mathematik und Physik, liebt die Natur und hat ein Faible für Architektur. So entschied er sich für ein Bauingenieur-Studium, zunächst im Bachelor in der Heimat, dann im Master an der HTWK Leipzig. „Einen Job als Bauleiter habe ich für mich ausgeschlos- sen, mich interessieren eher Themen wie Bauphysik und Stadtklima“, so Görgen. Nach einem kurzen Ausflug als Planungsingenieur in der freien Wirtschaft wollte er seine Interessen vertiefen und kam 2020 für eine kooperative Promotion mit der Brandenburgischen Technischen Uni- versität zurück an die HTWK Leipzig. Dabei entwickelte der heute 32-Jährige ein Simulationsverfahren zur klima- gerechten Anpassung einer wasserspeichernden Fassade, die das Stadtklima verbessern kann. Um seine Ideen in die Praxis zu bringen, gründete er mit einem Freund 2024 Komfortscape. Das junge Unternehmen berät Kommunen zu einer klimaresilienten und zukunftsfähigen Stadtent- wicklung. Nach einer anfänglichen Analyse des Stand- ortes erarbeiten die promovierten Ingenieure Klima- anpassungsstrategien und testen in einer Simulation, wie sich diese auf die Umgebung auswirken: Mehr Pflanzen, ausgewählte Materialien und Farben sowie Verschat- tungssysteme – vieles beeinflusst das Mikroklima. Seit einem Jahr lebt der Gründer mit seiner Partnerin in Wien und genießt dort nach der Arbeit Spaziergänge durch Stadt und Land. Vor allem moderne Baustile wie der Bru- talismus haben es ihm angetan: „Die gibt es tatsächlich auch in Wien zu entdecken.“ — kh „Ein Tag mit einem drogenabhängigen Fremden diente mir als Wegweiser“, erinnert sich Prof. Dr. Ulrike Igel an die Zeit nach dem Abitur in Altenburg und einem abgebrochenen geisteswissenschaftlichen Studium, in der sie sich orientierungslos fühlte. Die zufällige Begegnung, bei der sie viel über die Alltagssorgen von Abhängigen lernte, animierte sie dazu, Sozialwesen an der HTWK Leipzig zu studieren. Den Abschluss in der Tasche begann sie 2007 als wissenschaftliche Mit- arbeiterin in der HTWK-Forschungsgruppe „Soziales und Gesundheit“ zu forschen und entwickelte ein Projekt zur stadtteilbezogenen Gesundheitsförderung im Osten Leipzigs. In einem Folgeprojekt untersuchte sie, inwiefern die Wohngegend das gesunde Körper- gewicht von Kindern beeinflusst. Zu diesem Thema promovierte Igel an der HTWK und der Uni Leipzig und entwickelte Impulse zur gesundheitsfördernden Gestaltung von Städten am Beispiel des Leipziger Stadtteils Grünau. Für die 2019 verteidigte, heraus- ragende Doktorarbeit erhielt sie den Dissertationspreis der Stiftung HTWK. „Neben anderen Forschungspro- jekten und zwei kleinen Kindern war das Schreiben an der Dissertation mühsam, daher freute ich mich umso mehr über die Auszeichnung“, so Igel. Gleich ihre erste Bewerbung auf eine Professur war ein Erfolg: Seit 2021 ist die heute 43-Jährige Professorin für Soziale Arbeit im Sozialraum an der Fachhochschule Erfurt sowie Leiterin des Bachelor-Studiengangs Soziale Arbeit. Seit 2024 reduzierte sie auf Teilzeit, um öfter auf dem Bauernhof ihres Partners an der Ostsee sein zu können. Sie engagiert sich in verschiedenen Arbeitsgruppen zur „Sozialen Landwirtschaft“, die Soziale Arbeit und Land- wirtschaft miteinander verbinden. — kh 35

Messtechnik Organische Photovoltaik Prof. Dr.-Ing. Mathias Rudolph und Laura Ruminger kontrollieren die Messtechnik an den Gewächs- häusern mit Salatköpfen Deutschland will seinen Strombedarf bis 2035 fast ausschließlich aus er- neuerbaren Energien decken, vor al- lem aus Windkraft- und Solarenergie. Klassische Photovoltaik-Module aus Silizium brauchen viel Fläche, sind schwer und benötigen wertvolle Ma- terialien. Zu einer vielversprechenden Alternative könnten sich organische Photovoltaikzellen (OPV) entwickeln. Diese verwenden Kohlenstoffverbin- dungen, um Sonnenlicht in Strom um- zuwandeln, und ermöglichen so den Bau vergleichsweise leichter, flexibler und dünner Solarzellen. Dank ihrer Halbdurchlässigkeit könnten sie auch für die Verwendung in der Agri-Photo- voltaik Vorteile bringen, dem gleich- zeitigen Anbau von Nutzpflanzen und von Solarmodulen zur Stromgewin- nung auf derselben Fläche. Im Forschungsprojekt „Organic Photo- voltaic“ testeten Mathias Rudolph, Professor für Industrielle Messtech- nik, und seine wissenschaftliche Mit- arbeiterin Laura Ruminger von Februar bis Dezember 2024, ob OPV- Module sich für eine Nutzung in der Agri-Photovoltaik eignen. Dafür konzipierten die Forschenden einen Versuchsaufbau aus drei kleinen Ge- wächshäusern auf der Dachterrasse des Nieper-Baus der HTWK Leipzig. Zwei Gewächshäuser waren mit OPV- Modulen ausgestattet; eines zusätz- lich mit LED-Lampen, die mit dem erzeugten Strom eine Stunde am Tag betrieben werden sollten. Ein weite- res Gewächshaus ohne Module diente als Referenz. Mittels Sensorik wurden die Versuchsstände überwacht und im Anschluss analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass die Ver- schattung durch die Solarmodule positive Effekte auf den Ertrag der Salatpflanzen hatte: Sowohl die Bio- masse als auch die Blattgesundheit waren in den OPV-Gewächshäusern besser als im Referenzhaus. Zudem benötigten die Pflanzen 20 Prozent weniger Wasser als die Salatpflanze im Vergleichsgewächshaus. Der Strom- ertrag der organischen Module war jedoch deutlich geringer als erwartet: Statt einer Stunde leuchteten die LED- Lampen nur maximal zehn Minuten täglich. Gerade in der Anwendung für Agri- Photovoltaik überwiegen jedoch die Vorteile: Dank ihrer Flexibilität und Halbdurchlässigkeit lassen diese OPV- Module mehr Licht zu den Pflanzen durch als Silizium-Module. Die Mo- dule lassen sich außerdem in Farbe und Transparenz variieren, um den Bedürfnissen der Nutzpflanzen zu ent- sprechen. Die Technologie befindet sich in einem frühen Entwicklungs- stadium. Um den Wirkungsgrad zu verbessern und die Stromproduktion zu erhöhen, sind weitere Forschungen notwendig. — lr 37

Die mehr als 35.000 internationalen Teilnehmenden der 29. Weltklima- konferenz der Vereinten Nationen im aserbaidschanischen Baku standen unter Erfolgsdruck: Um den fort- schreitenden Klimawandel zu brem- sen, müssen die globalen Treibhaus- gas-Emissionen schnell und drastisch sinken. Wenn das bisherige, schlep- pende Tempo nicht anzieht, wird sich die Erde bis zum Ende des Jahrhun- derts voraussichtlich um 2,8 Grad Cel- sius erwärmen. Noch 2015 hatten sich knapp 200 Ver- tragsstaaten in Paris darauf geeinigt, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen. „Die da- mals verabredeten freiwilligen Selbst- verpflichtungen und Emissionsminde- rungen reichen aber nicht aus, um das Klimaziel zu erreichen“, heißt es im Policy Brief, den Bodo Sturm, HTWK- Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden, Dr. Carlo Gallier, Umwelt- und Klimaökonom an der Freien Universität Bozen, und Axel Ockenfels, Professor für Volks- wirtschaftslehre an der Universität zu Köln, verfasst haben. Die drei Forscher analysieren, wie Um- weltprobleme in einer Welt der Knapp- heit am besten gelöst werden können. Mit dem Policy Brief wollten sie den Teilnehmenden der Weltklimakonfe- renz ihre mehrjährigen Forschungs- ergebnisse vermitteln und empfehlen, stärker auf das Prinzip der Rezipro- zität zu setzen. „Das fehlt bislang in der internationalen Klimapolitik“, so Sturm. Reziprozität beschreibt eine Gegenseitigkeit oder auch Wechsel- beziehung. Für den Klimaschutz be- deutet dies, dass sich alle Mitglieds- staaten zu häufigeren Verhandlungen und Klimaschutzbeiträgen verpflich- ten. Vermehrte Interaktionen helfen den Mitgliedsstaaten, mit kleinen und risikoarmen Schritten im Klimaschutz Bodo Sturm, Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden, auf den Klimastreifen, die auf der Sachsenbrücke in Leipzig die globale Erderwärmung illustrieren zu beginnen. „Durch die Vielzahl der Interaktionen erwächst schließlich ein Umfeld, in dem gegenseitiges Vertrau- en und reziproke Kooperation entste- hen können“, so Sturm. Zudem würden die Teilnehmenden vor Ausbeutung geschützt und Kooperationsanreize geschaffen. Die Autoren empfahlen deshalb den Staats- und Regierungs- chefs der 29. UN-Klimakonferenz, die kooperationswissenschaftliche Litera- tur stärker zu berücksichtigen und die überragende Rolle der Reziprozität bei der Lösung von Kooperationsproble- men anzuerkennen. Konkret diskutieren die drei Autoren aktuelle Forschungsergebnisse und lieferten in einem Diskussionspapier im Oktober 2024 eine evidenzbasierte Bewertung der Maßnahmen des Pari- ser Klimaabkommens. Dabei gehen sie unter anderem auf die freiwilli- gen Selbstverpflichtungen des Pariser Klimaabkommens ein, in dem auch der Ratchet-up-Mechanismus festge- schrieben ist. Demnach sollen die teil- nehmenden Staaten ihre Beiträge zum Klimaschutz im Laufe der Zeit kon- tinuierlich erhöhen. Tatsächlich ge- schieht dies aber nicht in ausreichen- dem Maße. Der Mechanismus könne sogar zu gegenteiligen Effekten füh- ren, etwa, wenn beispielsweise Staa- ten aus strategischen Gründen bereits zu Beginn weniger ambitionierte Ziele wählen oder ihre Kooperationsbereit- schaft reduzieren. Selbst ein Anstieg der Beiträge zum Klimaschutz könne dann unter Umständen den anfäng- lichen Rückgang nicht ausgleichen. Zudem erhöht der Mechanismus die Gefahr, dass kooperative Staaten von Trittbrettfahrern ausgenutzt werden. Die Forscher stützen ihre Ergebnisse auf konzeptionelle Überlegungen, Simula- tionen und Daten, die unter kontrollier- ten Bedingungen im Rahmen eines öko- nomischen Laborexperiments erhoben wurden. Sturm: „Aktuell sieht es leider eher so aus, als ob in der internationalen Kli- mapolitik Reziprozität keine stärkere Rolle spielt. Es wird weitergemacht wie bisher. Ob so der Klimawandel ge- stoppt werden kann, ist fraglich.“ — frb Scannen für Policy Brief  https://shorturl.at/PfxHq 39

Elektrotechnik An der Spitze eines jeden Flughafen- Towers dreht sie sich tagein, tagaus: Die Radaranlage zur Flugsicherung. Sie sendet elektromagnetische Wellen aus und empfängt und verarbeitet die von Objekten reflektierten Echos, um sie zu orten. Seit Jahrzehnten gehören mechanische Überwachungsradare an Flughäfen zur Grundausstattung. Forschende der HTWK Leipzig und des Electronic Navigation Research Institutes (ENRI), das japanische Me- teorologie-Institut für Navigation im Flugverkehr, wollen diese Techno- logie gemeinsam weiterentwickeln. Unterstützung erhalten sie dabei vom Deutschen Akademischen Austausch- dienst, der mehrere gegenseitige For- schungsreisen über einen Zeitraum von zwei Jahren finanziert: Im April 2024 flogen Elektrotechnik-Professor Robert Geise sowie die Promovieren- den Ola Bidhan und Nikolai Mareev nach Tokio, um dort in einem zwei- wöchigen Forschungsaufenthalt am ENRI in Laboren Wellenausbreitung mit neuen Systemen zu messen. Im Oktober 2024 besuchten vier Mit- arbeiter des japanischen Instituts die HTWK Leipzig und nutzten die an der Fakultät Digitale Transformation vor- handenen Labore und Technologien für weitere gemeinsame Messkam- pagnen. Mit den Messungen und Berechnun- gen wollen die deutsch-japanischen Partner neuartige Radarsysteme zur Flugraumüberwachung entwickeln. Bisher kommen an Flughäfen Radare zum Einsatz, bei denen die Sende- und Empfangseinheiten am gleichen Ort sind. Die Wahrscheinlichkeit, Objek- te aufzuspüren und diese genau zu verorten, ist dadurch eingeschränkt. Klassische Radare können kleinere Objekte wie Flugdrohnen nur dann In der Absorberkammer im japanischen Meteorologie-Institut für Navigation im Flugverkehr (v. l.): Dr. Naruto Yonemoto, Dr. Morioka Kazuyuki, Dr. Junichi Honda, Prof. Dr.-Ing. Robert Geise, Nikolai Mareev, Prof. Dr.-Ing. Michael Einhaus, Masahiko Sato, Konstantin Schmidt und Ola Bidhan detektieren, wenn das Objekt gut re- flektiert. Das hängt von dessen Größe und Material ab. Ein großes Flugzeug aus Metall reflektiert beispielswei- se stärker als eine kleine Drohne aus Kohlenstoff – und die kommen im- mer häufiger zum Einsatz. „Wir schla- gen daher die Verwendung mehrerer, räumlich verteilter Sende- und Emp- fangseinheiten bei größeren Frequen- zen vor, um auch kleine Flugkörper zu erkennen“, so Geise. Ein räumlich verteiltes Radarsystem könne Objekte sowohl besser erkennen als auch in einer höheren Auflösung darstellen, und das sogar drei- statt zweidimen- sional. Sende- und Empfangseinheiten eines verteilten Radarsystems wollen die Forschenden mithilfe von Software- Defined-Radios realisieren. Das sind hochfrequente Sender und Empfänger, bei denen ein Anteil der Signale mittels Software verarbeitet wird. Die Techno- logie ist gut erprobt, beispielsweise in WLAN-Modulen und in Smartphones. Erste Testmessungen und Program- mierarbeiten zur Evaluation erprob- ten die Forschenden in einer 30 Meter langen Absorberkammer im ENRI. Der reflexionsarme Raum ist frei von Störsignalen und ermöglicht somit eine isolierte, fehlerarme Vermessung solcher Systeme in der Entwicklungs- phase. Geise: „Dank der Größe der Ab- sorberkammer konnten wir bei ersten Messungen Objekte auf etwa zwei bis drei Meter genau lokalisieren.“ Neben der Erprobung des neuen Ra- darsystems erarbeitet die Projekt- gruppe bis Ende des Jahres Lehrma- terialien auf Englisch, Japanisch und Deutsch für die Thematik Software- Defined-Radio und Radar, um auch zu- künftig die Zusammenarbeit in Lehre und Forschung zu vertiefen. — kh 41

Zwei Boote des Betonkanu- Teams der HTWK Leipzig versinken langsam in den Wogen der Vegetation. Die Regatten sind gefahren, Nachfolger gebaut und ver- besserte Modelle im Rennen Forschungsnachlass Die HTWK Leipzig ist zweifellos eine forschungs- starke Hochschule. Wer es nicht glaubt, blättere diese Einblicke-Ausgabe flugs noch einmal durch. Oder er laufe mit offenen Augen durch die Hoch- schule. Denn da werden Zeugnisse unserer For- schung sichtbar. Mein Blick und meine Gedan- ken blieben kürzlich bei den beiden Betonkanus hängen, die im Innenhof des Trefftz-Baus Regen- wasser sammeln. Und ich fragte mich: Was passiert mit den Objekten unserer Forschung? Wer verwaltet den Nachlass, welche Etappen wa- ren wichtig, wie lange heben wir sie auf, nachdem das Forschungsprojekt längst abgeschlossen ist? Denn überall, wo geforscht wird, entstehen Ob- jekte – Artefakte unterschiedlichster Art. Natür- lich gibt es Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, nach denen die Ergebnisse dokumentiert und ge- sichert werden. Die beiden Betonkanus konnten jedoch unmöglich der Bibliothek zur Archivie- rung übergeben werden … Die einsamen Kanus erinnerten mich an eine geheimnisvolle Kiste: Als ich vor 30 Jahren als Diplomand endlich einen eigenen Arbeitsplatz an meiner Universität bekam, hatten die Kolleginnen und Kollegen den Tisch meiner Vorgängerin be- räumt und allerhand experimentalphysikalisches Zeug – Elektronik-Bauteile, eine Ultraschall-Linse, Messingdrehteile – in einen Karton gepackt und mit „Nachlass Sylvia“ beschriftet. Keiner wusste, ob der Inhalt wichtig war. Die Forscherin lebt und arbeitet heute in den USA; die Arbeitsgruppe ist Kolumne längst aufgelöst und der Karton steht wahrschein- lich unangetastet im Keller. Dort bewahrt er sein Nachlass-Geheimnis: Wichtige Forschungsdo- kumentation oder einfach Schrott? — Dr. Martin Schubert Dr. rer. nat. Martin Schubert (*1969) leitet seit 2010 das Studium generale an der HTWK Leipzig. Nach dem Physikstudium in Frankfurt am Main kam er 1996 nach Leipzig. Während seiner Pro- motion zur Ultraschallmikroskopie gründete er ein Start-up für Mess- technik und ging 2004 nach Saar- brücken, um Bildungsarbeit für die Nanotechnologie zu machen, bevor ihn die überfachliche Weit- sicht wieder nach Leipzig lockte. 43

Von der klassischen Werkzeugbank über Elektronik-Arbeitsplätze bis hin zu Hightech-Geräten wie dem Wasser- strahlschneider oder dem Lasercutter: Hier stehen angehenden Gründerin- nen und Gründern, aber auch For- schenden und Studierenden moderne Maschinen zur Verfügung. Mehrab Moradi Nasrabadi, Bionik-Absolvent und Koordinator des Makerspaces, sorgt dafür, dass alle, die den Raum nutzen, die passende Unterstützung bekommen – sowohl kreativ als auch technisch. Prototyping Day: Experimentieren erwünscht Einen ersten unkomplizierten Zu- gang bietet der Prototyping Day. Ein- mal im Monat kann dabei jeder nach Anmeldung und unter Anleitung den gesamten Makerspace kostenlos nut- zen. Ohne viel Bürokratie, dafür mit viel Unterstützung. Dabei entsteht eine kleine Community, die sich aus- tauscht, Ideen teilt und sich gegensei- tig bei ihren Projekten hilft. Neben dem Prototyping Day bieten Moradi Nasrabadi und Julius Zeng im Makerspace Workshops an, die von den Grundlagen der Elektrotechnik über den Umgang mit Mikrocontrol- lern bis hin zu CAD-Modellierung, Was gibt's im Makerspace? M 3D-Drucker M Wasserstrahlschneider M CNC-Fräse M Elektronik-Arbeitsplätze M Näh- und Stickmaschine M Klassische Werkzeugbank Aus diesem Rotorblatt-Segment wird ein Tisch. Dimitrij Seibert scannt das Werkstück zunächst mit dem 3D-Scanner, um die weiteren Schritte digital zu planen 3D-Druck, Vektorgrafiken und ma- schinellem Sticken reichen. Zudem beraten sie zur Auswahl passender Software und individueller Zugänge für Studierende und Hochschulange- hörige. Dabei entstehen aus Faserverbund- werkstoffen, die als schwer recycelbar gelten, alltagstaugliche, umfunktio- nierte Anwendungen. Die Forscher prüfen, wie praktikabel und wirt- schaftlich ihre Konzepte zur Wieder- verwendung alter Rotorblätter sind. Nachhaltige Innovation: Ein zweites Leben für Rotorblätter Den vielseitig ausgestatteten Maker- space nutzen beispielsweise die For- scher Dimitrij Seibert, Andrej Fehler und Philipp Johst vom Composite Circularity Lab, das zur Forschungs- gruppe Leichtbau gehört. Die Mitarbei- ter kommen regelmäßig vorbei, um im Projekt „ValidFloatingPV“ Schwimm- körper und Möbelstücke aus altem Rotorblattmaterial von Windkraftan- lagen zu kreieren. Ihr Ziel ist es dabei, Forschungsergebnisse zu Recycling- prozessen von Verbundwerkstoffen zu validieren und in die Praxis zu über- führen. Dabei helfen die Räumlich- keiten und Gerätschaften des Maker- space: Hier können die Maschinen- bauer die Rotorblätter digitalisieren, daraus digitale Modelle erstellen sowie Halterungen fräsen und zuschneiden. Innovation braucht Raum und Mut zum Machen „Das Projekt zeigt, wie ausgediente Materialien mit kreativen Ideen in neue, funktionale Produkte verwan- delt werden können – ein perfektes Beispiel für nachhaltiges Design und innovative Nutzungsmöglichkeiten im Makerspace“, so Moradi Nasrabadi. Ob komplexe Forschungsprojekte, kreative Designlösungen oder erste technische Experimente – der Maker- space von Startbahn 13 bietet einen Ort dafür. „Manchmal ist der schwie- rigste Schritt, einfach anzufangen. Genau dafür ist dieser Raum gemacht: um auszuprobieren, zu experimen- tieren und Neues zu erschaffen“, so Moradi Nasrabadi, der gleich wieder das nächste Team begrüßt. — fo 45

Rund 200 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft feierten im August 2024 die Er- öffnung der Forschungs- und Fertigungshalle spielen dabei eine zentrale Rolle, um alle Schritte vom Entwurf über die Planung bis zur effizienten Vorferti- gung sowie Logistik und Montage auf der Baustelle lückenlos zu vernetzen. So soll das Bauen mit Holz perspekti- visch deutlich mehr von den positiven Effekten der Digitalisierung profitie- ren. „Technologisches Alleinstellungs- merkmal der Modellfabrik ist die enorm platzsparende Vorfertigungs- strategie, über die wir zentral in der Halle jeden Punkt einzeln ansteuern und damit Bauteile aus Holz in Maß- anfertigung herstellen können“, so Stahr. Die Forschungsgruppe FLEX will da- bei die Zusammenarbeit mit regiona- len und überregionalen Partnern aus der Holzbau-Branche auf ein neues Niveau heben. Die einzigartigen tech- nologischen Möglichkeiten sollen in vielfältigen Kooperationsprojekten genutzt werden, um zum einen in den Unternehmen vorhandenes Know- how für die Forschung zu erschließen, als auch um außerhalb des gewöhnlich Der damalige HTWK-Rektor übergibt den „Schlüssel“ für das HolzBauForschungsZentrum: eine Wurzel aus Holz, hergestellt im 3D-Drucker; (v. l.) Prof. Dr.-Ing. Alexander Stahr, Sebastian Gemkow, Prof. Dr. Mark Mietzner, Thomas Schmidt terminlich dicht getakteten Projekt- alltags am Bau Lösungen zur Anwen- dungsreife zu entwickeln. Mit den neuen Konzepten und Konstruktions- lösungen, die die Forschenden und Praxispartner im HolzBauForschungs- Zentrum entwickeln und erproben, soll der moderne Holzbau in Sachsen gestärkt und damit ein Beitrag für kli- ma- und ressourcenschonendes, zir- kuläres und serielles Bauen geleistet werden. — frb 47

Prof. Dr. Gabriele Hooffacker im Interview mit Franka Platz eigenen Verständnis widerspricht, hingegen nicht so sehr. Dieser Effekt ist umso stärker, je ausgeprägter der eigene Standpunkt ist. Warum ist das ein Problem? Es gibt jede Menge berechtigter Kritik an Medien und Journalismus. Sie hilft den Redaktionen, besser und genauer zu werden. Aber Pauschalkritik, die „den Medien“ unterstellt, nur die Posi- tion „der Herrschenden“ zu verbreiten, wer immer das sein soll, lässt sich als Beginn einer Verschwörungserzäh- lung lesen. Eine solche Vereinfachung hilft niemandem. Diskurs ist eine Grundlage des demokratischen Zusammen- lebens. Welche Rolle nimmt der Journalismus dabei ein? Journalismus soll der Gesellschaft hel- fen, sich selbst besser zu verstehen, und eine gute Basis für anstehende gesellschaftliche Entscheidungen zu bekommen. Dazu muss man mitein- ander reden, auch wenn es anstren- gend sein kann, sich mit jemanden mit einer komplett anderen Einstel- lung auszutauschen. Aber nur so las- sen sich Lösungen aushandeln und finden, mit denen alle leben können. Verhandlungen und Kompromisse sind in Zeiten von Populismus und Hassrede leider gar nicht leicht zu vermitteln. Deshalb möchte ich beide Seiten ansprechen: die engagierten Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen einerseits, die nach- denklichen Menschen im Publikum andererseits. Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell größten Herausforder- ungen für die Medien? Immer weniger Medienschaffende in den Redaktionen stehen immer mehr hoch bezahlte Menschen in der Öf- fentlichkeitsarbeit von Unternehmen gegenüber. PR-Strategien etwa der Energieversorger, der Automobilwirt- schaft oder der Gesundheitsindustrie Prof. Dr. Gabriele Hooffacker (*1959) ist Journalistin, Fachbuch- autorin und seit 2013 Professorin für mediengerechte Inhalteauf- bereitung an der HTWK Leipzig. Nach ihrer Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitete sie als Jour- nalistin und in der Journalismus- lehre. An der HTWK Leipzig hat sie die Lange Nacht der Compu- terspiele organisiert. Sie gibt die Lehrbuchreihe „Journalistische Praxis“, die „Leipziger Beiträge zur Computerspielekultur“ sowie mit einem Herausgeberteam die Open- Access-Fachzeitschrift „Journa- listik“ heraus. Auch im Ruhestand ab Herbst 2025 wird sie weiter publizieren, lehren und forschen. zu durchschauen, ist auf Anhieb fast unmöglich. Da hilft auch noch mehr Einsatz Künstlicher Intelligenz in den Redaktionen nur bedingt. Es bräuchte mehr Zeit für Recherche! Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Franka Platz. 49

forschung – ihre Kompetenzen und errichteten gemeinsam mit Praxis- partnern ein neues Reallabor auf dem Gelände des Lichtanlagenspe- zialisten NEL in Leipzig-Heiterblick. Das „Herzstück“ der Anlage stellte die Firma Daikin. Achtung, ansteckend! Das knapp 200 Kubikmeter große Real- labor lässt sich umrüsten – mal als Klassenraum, mal als Wartezimmer – und ist mit zahlreichen Ventilen, Roh- ren und Messgeräten ausgestattet, um nachzuvollziehen, wie sich Aerosole – die Träger bakterieller und viraler Partikel – im Raum verteilen. In ver- schiedenen Szenarien versprühen die Forschenden durch in Mundhöhe angebrachte Röhrchen abgeschwäch- te Formen von Keimen. Dann mes- sen sie, wie hoch die Konzentration der ansteckenden Partikel an unter- schiedlichen Stellen im Raum ist. Alle dabei gewonnenen Messdaten und Er- kenntnisse fließen in ein umfassendes Simulationsmodell ein. Dieses Modell dient der Entwicklung evidenzbasier- ter Strategien zur Raumluftdesinfek- tion und zur Kontrolle der Aerosolver- breitung, um geeignete Maßnahmen abzuleiten für den alltäglichen Einsatz in sensiblen Bereichen oder im Falle zukünftiger Pandemien. Alles fließt – nur wohin? Das Simulationsmodell entwickelten die Forscherinnen und Forscher der HTWK Leipzig unter der Leitung von Stephan Schönfelder, Professor für Simulation energetischer und tech- nischer Systeme. Damit lässt sich be- rechnen, wie sich Aerosole im Raum verteilen und wie sich deren Konzen- tration durch den Einsatz von UVC- Systemen verändert. „Wir konnten Auch in Lüftungsanlagen können UVC-Strahler intalliert werden und so für eine bessere Hygiene sorgen mithilfe numerischer Strömungssi- mulationen nachweisen, dass mobile UVC-Raumluftentkeimungssysteme keiminfizierte Aerosole deutlich re- duzieren. Besonders relevante Krank- heitserreger wie der Tuberkulose- Erreger, das Grippe-Virus Influenza A und das Corona-Virus SARS-CoV-2 können theoretisch im Schnitt um bis zu 99,99 Prozent mit mobilen Luftent- keimungssystemen unschädlich ge- macht werden. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die tatsächliche Dosis der UVC-Strahlung, die einen Keim er- reicht, stark schwankt und nur durch Simulationen realistisch abgeschätzt werden kann“, so Dr. Florian Wallburg, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt. Erneute Schließungen verhindern Schönfelders Team konnte die Experti- se in der Strömungssimulation gezielt einbringen und bereits publizierte nu- merische Modelle zur Aerosolausbrei- tung um die gezielte Luftentkeimung mittels UVC-Technologie ergänzen. „Somit lassen sich nicht nur Luftströ- mungen im Raum präzise berechnen, sondern erstmals auch das Infektions- risiko unter realitätsnahen Bedingun- gen simulieren. Das Modell berück- sichtigt dabei die jeweilige räumliche Anordnung, den technischen Gerä- teeinsatz und die voraussichtliche keimreduzierende Wirkung. Das ist ein wesentlicher Schritt hin zu belast- baren Entscheidungsgrundlagen für raumlufttechnische Schutzkonzepte und zukünftige Pandemiepläne“, so Schönfelder. Von den Projektergebnissen sollen unter anderem medizinische Einrich- tungen, Schulen, Theater und Behör- den in Form konkreter Handlungs- empfehlungen profitieren. Außerdem haben die Praxispartner, wie der auf UVC-Geräte spezialisierte Hersteller Dinies Technologies, technologische Lösungen entwickelt, die inzwischen marktreif sind. Das ist ein Gewinn für alle: Je besser die Systeme angepasst und validiert sind, desto eher lassen sich damit Bereiche des öffentlichen Lebens schützen – ohne erneute Schließungen im Pandemiefall. — kh  doi.org/10.3390/ijerph19106279 51

Physik In brenzligen Situationen sollte die Uhr hingegen Kugeln aus einigen Me- tern Entfernung umlenken. „Leider nicht möglich“, so Reuthers Urteil, denn um ein solch starkes Magnetfeld zu erzeugen, wäre die Uhr viel zu groß und viel zu schwer, um sie noch tragen zu können. Während Q bei seinen Erfindun- gen tief in die Trickkiste griff, zeigte HTWK-Professor Reuther beim Wis- senschaftskino mit Formeln und Berechnungen auf, wie so manche Actionszene wirklich hätte ablaufen müssen. Unter den Anwesenden sorg- ten die Szenen und die dazugehörigen Erklärungen immer wieder für Stau- nen, gerade weil manch besonders spektakuläre Stuntszene, die alle für unmöglich hielten, rein physikalisch denkbar wäre. Zum Abschluss ging Reuther der wohl berühmtesten Frage auf den Grund: Warum trinkt der Geheimagent seinen Wodka-Martini geschüttelt und nicht gerührt? Auch hier sorgten zusätz- liche Informationen für ein Raunen im Saal: Wer hätte gedacht, dass diese Frage sogar in einem wissenschaft- lichen Paper ausführlich besprochen worden ist? Demnach werden durch das Schütteln im Wodka-Martini die freien, gesundheitsschädlichen Radi- kale besser gebunden, als wenn man den Cocktail rührt. Eine weitere, nicht ganz ernst gemeinte Erklärung lie- fert der Paranuss-Effekt, auch Müsli- Effekt genannt. Durch das Schütteln wandern die großen Geschmacksmo- leküle nach oben, wohingegen sich die kleinen Alkoholmoleküle unten im Glas ansammeln. So kann Bond den Geschmack genießen, ohne betrun- ken zu werden, denn immerhin muss ein Geheimagent stets einsatzbereit im Kampf gegen das Böse sein. — frb 53 Vor allem eingefleischte James-Bond-Fans hatten viele Detailfragen an Prof. Guido Reuther, der erläuterte, welche James-Bond-Actionszenen physikalisch möglich wären Der fiktive Geheimdienst-Agent James Bond ist bekannt für seine spektaku- lären Actionszenen. Beispielsweise die legendäre Jagd aus dem Film „Golden Eye“, bei der der Geheim- agent in den Schweizer Alpen eine Klippe hinabstürzt, um ein Flugzeug im freien Fall einzuholen. Ist das rea- listisch oder wurde hier getrickst? „Theoretisch ist es möglich“, sagt Guido Reuther, Professor für Ange- wandte Physik an der HTWK Leipzig. Zumindest wenn Bonds Körper 32-mal windschnittiger wäre als das Flugzeug. Beim Wissenschaftskino am 10. De- zember 2024 im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig zeigte Reuther rund 180 anwesenden Besucherinnen und Besuchern noch drei weitere Action- szenen aus James-Bond-Filmen und analysierte gemeinsam mit dem Pub- likum die Physik dahinter. „Ich möch- te vor allem jungen Menschen bewei- sen, dass Physik weder schwer noch unverständlich ist“, so Reuther. Über Actionszenen aus James-Bond- Filmen spricht Reuther sonst in seinen Vorlesungen an der HTWK Leipzig: Dort ist er unter anderem für die physikalischen Grundlagen-Veranstal- tungen angehender Ingenieurinnen und Ingenieure im ersten und zweiten Studiensemester verantwortlich. Mit Filmszenen lockert er den theoreti- schen Unterricht auf und macht ihn anschaulicher. Für seine erstklassige Didaktik wurde Reuther 2023 mit dem ersten Lehrpreis der Hochschule aus- gezeichnet. Inspirieren ließ sich Reuther von Metin Tolan: Dieser war bis 2021 Pro- fessor für Experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund und bis November 2024 Präsident der Universität Göttingen. Er schrieb Bücher wie „Die Star Trek Phy- sik“ oder „Titanic. Mit Physik in den Untergang“. Reuther entschied sich für James Bond als bestes Beispiel, da dieser sehr bekannt sei und gerne mal mit den Grenzen der Physik spiele. für gewagte Action- Nicht nur szenen, sondern auch für interessan- te Gadgets ist James Bond bekannt. Entwickelt werden sie von „Q“, dem Leiter der fiktiven Forschungs- und Entwicklungsabteilung des britischen Geheimdienstes. Lieblings- gadget zählt eine Magnetuhr, die im Film „Leben und sterben lassen“ von 1973 zu sehen ist. In der ebenfalls beim Wissenschaftskino gezeigten Szene konnte Bond damit den meter- weit entfernten Kaffeelöffel seines Chefs entwenden und einer Frau den Reißverschluss ihres Kleides öffnen. Zum kino

Kevin Strödter (l.) und Philipp Johst am Solarmodul mit umfunktioniertem Rotor- blatt-Schwimmsegment Basis für Photovoltaikanlagen auf Seen und Küstenregionen dienen. Ers- te Demonstratoren dafür entstanden am Forschungscampus Eilenburger Straße: Hier lagern ausgediente Rotor- blätter, die Böhm und seine Mitarbei- ter Philipp Johst, Kevin Strödter und Dimitrij Seibert zuschnitten und ge- meinsam mit einem portugiesischen Forschungsinstitut im Projektkonsor- tium einen ersten Demonstrator be- reits in einem Leipziger See sowie in einem portugiesischen Wellenbecken erfolgreich testeten. Ein weiterer Ansatz für eine Wieder- verwendung ist das mechanische Recycling von Rotorblättern für eine Nutzung von geschreddertem Mahlgut als Füllstoff in der Bauindustrie. Auch dafür erarbeiten die HTWK-Forscher geeignete Konzepte. Parallel dazu entwickeln die Partner im Forschungskonsortium neue Bau- teile aus Carbonfaser-basierten Mate- rialien und setzen dafür fünf Demons- tratoren um, beispielsweise ein Lenkrad für Rennwagen der IndyCar- Serie, hergestellt mittels 3D-Druck. So wollen sie die Praktikabilität und Effi- zienz der neuen Recyclingverfahren zeigen. — kh 55 gesellschaftliche Probleme verursacht. Die EU plant, diese Deponierungsrate auf 10 Prozent zu reduzieren und statt- dessen die Recyclingquote zu erhöhen. Das Forschungskonsortium unter- stützt dieses Ziel durch die Entwick- lung fortschrittlicher Technologien und End-of-Life-Optionen, die das Recycling von Kohlenstofffasern und anderen Verbundwerkstoffen fördern. zu trennen, ist meist nicht möglich oder zu aufwendig. Die Forschenden entwickeln deshalb neue, umwelt- freundlichere Verfahren. Ziel ist es, aus alten Bauteilen aus Flugzeugen und Windkraftanlagen neue, hoch- wertige Produkte unter anderem für den Automobil- oder Schiffsbau zu fertigen. Dafür erproben und validie- ren sie drei spezifische Verfahren. Aktuelle Recyclingmethoden wie die thermo-chemische Pyrolyse, bei der Plastik in Öl verwandelt wird, sind sehr energieaufwendig und oft um- weltschädlich. Außerdem kommt sie nicht für jeden Werkstoff infrage. Eine Herausforderung beim Recycling von Verbundwerkstoffen ist, dass verschie- denste Materialien vereint sind. Diese Schwimmkörper und Füllmaterial Das HTWK-Forscherteam testet zum einen den Bau von Schwimmkörpern für Photovoltaikanlagen. Da Rotor- blätter leicht und stabil sind, kön- nen Teile daraus als schwimmende

Beton kleidet Vom Modefoto in der Einblicke 2015 (rechts) über den Cube, das welt- weit erste Haus aus Carbonbeton (links), bis zum Carbonbetontech- nikum der HTWK Leipzig lässt sich eine Wissens- transfer-Kette knüpfen Blick zurück in die Ausgabe der Einblicke vor zehn Jahren: Beim Durchblättern fällt ein seitenfüllen- des Modefoto ins Auge; ein ungewohnter Anblick im Forschungsmagazin. Das Model auf dem Bild trägt ein Kleid – aus Beton: Die Frau ist in ein wei- ches, grau-glitzerndes Carbontextil gehüllt, das die Firma Gerster TechTex eigentlich für techni- sche Zwecke herstellt, und trägt in Schürzenhö- he einen gewölbten Faltenwurf aus hartem, aber hauchdünnem Carbonbeton: 7 Millimeter dick und 2,5 Kilogramm schwer. Was es damit auf sich hatte, fragen wir Dr. Alexander Kahnt, Leiter der Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen am Institut für Betonbau der HTWK Leipzig. „Das Betonkleid haben wir in Zusammenarbeit mit den Designeri- nen Laura Krettek und Beatrix Krause erdacht, um auf das Potenzial des Verbundwerkstoffs Carbon- beton aufmerksam zu machen. Es entstand 2014 parallel zum Start des Großforschungsvorhabens Carbon Concrete Composite – C3.“ Seinen ersten großen Auftritt hatte das Carbon- betonkleid 2015 auf der BAU, der Weltleitmesse der Baubranche in München. Dort zog ein beton- bekleidetes Model die Blicke auf sich und führ- te zum Messestand des Konsortiums. Inspiriert davon rief ein Kurator vom Berliner Futurium, dem unmittelbar in Nachbarschaft zum Bundes- forschungsministerium gelegenen Haus der Zu- künfte, bei Kahnt an und erkundigte sich, ob die HTWK Leipzig dort ein Exponat aus Carbonbeton zeigen könnte – als einen der vielversprechens- ten Baustoffe der Zukunft. Das Bauteil ist dort bis heute zu sehen. Zehn Jahre Forschungsarbeit des C3-Konsortiums und Wissenstransfer wie dieser mündeten schließlich im Bau des Cube in Dresden, dem weltweit ersten Haus aus Carbon- beton. „Genau wie das Betonkleid besteht auch der Cube aus sehr dünnen und teils gewölbten Elementen aus Carbonbeton. Das nächste Ziel ist nun die standardisierte Anwendung des Ver- bundwerkstoffs. Die automatisierte Fertigung von Bauteilen aus Carbonbeton erproben wir seit 2022 im Carbonbetontechnikum der HTWK Leipzig“, so Kahnt. Ein zwanzigköpfiges Team unter der Leitung von Klaus Holschemacher, Professor für Stahlbetonbau, erforscht gemeinsam mit der For- schungsgruppe von Tilo Heimbold, Professor für Prozessleittechnik und Prozessführung, wie eine effiziente, nachhaltige und wirtschaftliche Pro- duktion von Carbonbeton möglich ist. Die For- schenden zeigen regelmäßig Partnern aus der Praxis in Führungen, wie Betonwerke sich auf- stellen müssen, um Carbonbeton-Bauteile auto- matisiert produzieren zu können. Insofern veran- schaulicht das Modebild in der Einblicke-Ausgabe den Beginn einer erfolgreichen Wissenstransfer- Kette: Vom Betonkleid zum Futurium, zum Cube und schließlich zum Carbonbetontechnikum der HTWK Leipzig. — kh Blick zurück 57

Projektpartner und Förderungen Impressum Viele der im Forschungsmagazin vorgestellten Projekte werden durch öffentliche Förder- programme unterstützt. Die Durchführung der Projekte erfolgt sowohl an der HTWK Leipzig als auch am Forschungs- und Transferzentrum der Hochschule. Wir bedanken uns bei allen Fördergebern für die Unterstützung. Ebenso bedanken wir uns bei unseren zahlreichen beteiligten Partnern aus der Praxis für die gute Zusammenarbeit. Seitenzahl Fördergeber ELSTATIK Stiftung S. 16 ff.: S. 22 ff.: S. 36, S. 50 f., S. 57: S. 37: S. 40 f.: S. 42, S. 44: S. 44 f.: S. 46 f., S. 54 f.: S. 58: Gefördert durch die Deutsche Forschungs- gemeinschaft (DFG) – Projektnummer 533332757 Diese Ausgabe des Forschungsmagazins Einblicke wird aus Mitteln des Projekts Saxony5 finanziert, das im Rahmen des Bund-Länder-Programms Innovative Hochschule gefördert wird. Herausgeberin Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, Referat Forschung Postfach 30 11 66 | 04251 Leipzig Redaktion Katrin Haase (kh) (verantwortlich), Dr. Franziska Böhl (frb) und Dirk Lippik Telefon: +49 341 3076-6101 E-Mail: einblicke@htwk-leipzig.de Redaktionsschluss 30. April 2025 Weitere Autorinnen und Autoren Sven Heitkamp, Florian Oberkrome (fo), Franka Platz (fp), Laura Ruminger (lr), Dr. Martin Schubert Corporate Design wenkerottke GmbH Grafisches Konzept, Layout, Satz und Grafik Aileen Burkhardt, punze typografie Druck Oeding Print GmbH, Erzberg 45, 38126 Braunschweig Gedruckt auf 100 % Altpapier, FSC®-zertifiziert XQ4 www.blauer-engel.de/uz195 Auflage 3.500 ISSN Print: 2194-4067, Online: 2195-9420 Bildnachweise Titelfoto, S. 4 (o.): Aileen Burkhardt (Adobe Firefly) S. 2, 3, 18, 24–26, 27 (u.), 47: Swen Reichhold S. 4 (u.): Sammy Schließer S. 5, 12–13, 39, 50–51: Katrin Haase S. 19–20: Patrick Frenzel S. 21: Omid Arabbay S. 27 (o.), 33, 34 (l.), 35 (r.), 43 (u.)–45, 52–53, 58: Saskia Pramor S. 28: Dr. Franziska Böhl S. 29: Kristina Denhof S. 34 (r.): privat S. 35 (l.): Sandra Schartel S. 36: Dr. Steffen Rittner S. 38: UN Climate Change – Kiara Worth S. 42: Dr. Daniel Kruber S. 43 (o.): Dr. Martin Schubert S. 48–49: Jan Urban S. 56: Jana Schönknecht / Adobe Stock S. 57 (l.): Stefan Gröschel, IMB, TU Dresden S. 57 (r.): Laura Krettek soweit nicht anders angegeben: HTWK Leipzig