Arbeit abseits des Schreibtisches: “Deskless Work und Personalmanagement“ – Prof. Peter M. Wald hat das erste deutschsprachige Buch dazu herausgegeben
Deskless, non desk, Frontline worker, Blue Collar worker, gewerbliche Arbeitnehmer – so werden die Arbeitskräfte bezeichnet, die physisch anwesend sein müssen, um ihren Job zu machen. Ihre Arbeit kann zumindest räumlich nicht flexibilisiert werden – das macht sie heutzutage für viele unattraktiv. In Zeiten des Fachkräftemangels und einer bekannten Demographie-Entwicklung eine Herausforderung nicht nur für Unternehmen, sondern für uns alle als Gesellschaft. Ein Gespräch mit HR-Professor Peter M. Wald zu seinem aktuellen Buch.

Spätestens seit Corona ist Homeoffice oder „mobile Arbeit“ in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie kommt es, dass die Gruppe der „schreibtischlosen Mitarbeitenden“ so oft übersehen wird, obwohl sie weltweit rund 80 Prozent ausmacht – und wir alle von ihr abhängen? (zum Beispiel bei Müllabfuhr, Medizin, Pflege…)
PW: „In der Tat ist das die am meisten übersehen Gruppe der arbeitenden Menschen – mit Berufen, deren Arbeit nicht einfach so automatisiert oder ins Ausland verlagert werden kann.
In der Vergangenheit gab es wenig Probleme, freiwerdende Stellen im Bereich von Deskless Work zu besetzen. Dies ändert sich zusehends, denn die mangelnde Attraktivität dieser Arbeitsplätze stellt das Recruiting vor große Herausforderungen. Der Handlungsbedarf ist demzufolge klar erkennbar. Hinzu kommt, dass der Stellenwert der klassischen dualen Berufsausbildung im Vergleich zur akademischen Ausbildung in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist.
Warum? Was sind die Gründe dafür? Das Image, finanzielle Gründe, mangelnde Flexibilität und fehlende Wertschätzung?
PW: Es fällt den Unternehmen erkennbar leichter, die Arbeitsbedingungen von Office Workern zu verändern, als bei Mitarbeitenden, die in der Pflege oder am Band tätig sind. Der schnelle Übergang zu Homeoffice-Modellen im Zuge der COVID 19-Pandemie ist ein beredtes Beispiel dafür. Die mangelnde Flexibilität der Unternehmen im Deskless Bereich zeigt sich in der seit Jahrzehnten sichtbaren Orientierung auf klassische Arbeitszeitmodelle ohne Wahlmöglichkeiten für die Mitarbeitenden. Auch der finanzielle Aufwand bei der Einführung und Nutzung neuer Arbeitszeitmodelle schreckt viele Unternehmen ab. Häufig reagieren diese mit neuen Lösungen erst, wenn dies unausweichlich geworden ist. Einige Unternehmen haben dies erkannt und reagieren derzeit mit entsprechenden Lösungen, die eine zunehmende Wertschätzung von Deskless Workern erkennen lassen.
Die HTWK Leipzig bietet ca. 75 Prozent MINT-Studiengänge an – könnte und sollte sie hier also eine „Brückenfunktion“ einnehmen und solche Berufe in die Zukunft denken – hin zu einer neuen Sicht auf und Umsetzung von „deskless work“ ?
PW: Ingenieure und Ingenieurinnen müssen zunehmend ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie die Gestalter der Arbeit von deskless Workern sind und damit deren „Employee Experience“ – also alle Erfahrungen, die sie während seiner gesamten Zeit in einem Unternehmen machen – sehr stark beeinflussen. Dies geschieht einerseits durch die konkrete Auslegung von Maschinen und Anlagen und andererseits durch ihr Agieren als Führungskräfte im Bereich Deskless Work. Hier macht es sich durchaus bezahlt, wenn die Ingenieure und Ingenieurinnen in ihrem Studium Gelegenheit hatten, die Tätigkeiten von Deskless Workern kennenzulernen oder diese Tätigkeiten auch selbst einmal – und wenn es auch nur im Rahmen eines Praktikums war – ausgeführt zu haben. Mit der Gestaltung der Arbeits- und Einsatzbedingungen von Deskless Workern wird letztlich die Attraktivität dieser Unternehmen als Arbeitgeber maßgeblich beeinflusst.
Was erwarten die Studierenden diesbezüglich? Ist das überhaupt (schon) ein Thema für sie?
PW: Dies stellt sich aktuell sehr differenziert dar. Neben einem eher geringen Interesse an den hier dargestellten Themen gibt es eine zunehmende Zahl von Studierenden, die mit diesen Fragen insbesondere aus dem familiären Umfeld konfrontiert waren bzw. bei Praktika mit diesen Fragen in Berührung kamen. Bei diesen Studierenden kommt es auch verständlicherweise zu Nachfragen und das Interesse wächst, sich im Rahmen von Abschlussarbeiten mit diesen Themen näher auseinanderzusetzen.
Wie sieht aus Ihrer Sicht eine zeitgemäße, attraktive Arbeitgebermarke aus?
Diese Frage betrifft die HTWK Leipzig als Arbeitgeberin zum Beispiel auf dem Gebiet professoralen Personals – das in den nächsten Jahren zu einem großen, spürbaren Teil in den Ruhestand gehen wird. Auch hier steht ein Generationenwechsel an.
PW: Erfahrungen bei der Kommunikation der Arbeitgeber-Eigenschaften im Bereich der Deskless Worker sind durchaus interessant, auch was das Personalmarketing von professoralen Stellen angeht. Insbesondere Informationen zu den besonderen Stärken eines Arbeitgebers und zu konkreten Möglichkeiten für die persönliche Weiterentwicklung sind für die Kommunikation unverzichtbar. Hier sehe ich derzeit auch eine Reihe kommunikativer Defizite. Hinzu kommt, dass es notwendig ist, stärker als bisher die gesellschaftliche Bedeutung dieser Tätigkeiten hervorzuheben. Da in beiden Bereichen ein Mangel an Fachkräften besteht, braucht es Änderungen nicht nur in der Kommunikation, sondern auch in der allgemeinen Wertschätzung dieser Positionen. Auf diese Weise können Menschen begeistert werden, diese Aufgaben zu übernehmen und es wird einfacher, die betreffenden Stellen erfolgreich zu besetzen.