Ein kleines Gespräch mit Prof.in Dr. Laura Veronese, die seit 1. April 2025 die Professur Urbanismus und Entwerfen bekleidet.
Warum haben Sie sich für den Beruf der Architektin entschieden?
Ich habe zunächst Kunst studiert – in Mailand, wo ich auch aufgewachsen bin. Schon mit zwölf oder dreizehn Jahren habe ich mich für ein Kunstgymnasium entschieden, weil ich gern schrieb, zeichnete und mir imaginäre Welten ausdachte. Damals wusste ich noch nicht wirklich, was es bedeutet, Kunst zu studieren – und es war auch nicht selbstverständlich, diesen Weg zu gehen. Mein Vater ist Ingenieur, und in vielen Familien war ein Kunststudium kein gern gesehener Weg.
Für mich war die Schule ein Labor: Ich konnte vieles ausprobieren – Malerei, Zeichnung, Aktzeichnen, aber auch Perspektive und technische Zeichnung. Und irgendwann im Studium – relativ spät – merkte ich, dass mir gerade die Perspektive und technische Zeichnung besonders lagen. Ich hatte ein gutes räumliches Verständnis, aber zunächst dachte ich dabei eher an Form als an Architektur.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Architektur mehr ist als reine Form?
Ich brauchte eine Weile, um den Unterschied zwischen Kunst und Architektur wirklich zu verstehen. Im Gymnasium wurden wir intensiv mit Kunstgeschichte, aber auch mit Architekturgeschichte konfrontiert. Besonders fasziniert haben mich dabei nicht nur historische Fakten, sondern die Geschichten, die sich hinter Gebäuden und Städten verbergen – ihre Erzählungen.
In den letzten zwei Jahren des Gymnasiums lag der Fokus dann auf Architektur. Wir bearbeiteten erste einfache Projekte – sehr rudimentär. Aber ich bekam ein Gefühl für den Maßstab, für Räume – und auch für die Stadt als Kontext, nicht nur für das Objekt allein.
Wie ging es nach dem Gymnasium für Sie weiter?
Ich habe kurz überlegt, ob ich Kunst weiterstudieren möchte, aber ich war schon so tief in die Architektur eingetaucht, dass es naheliegend war, in diesem Bereich weiterzumachen. Ich begann mein Studium in Mailand – aber ehrlich gesagt, habe ich in den ersten zwei, drei Jahren gar nicht richtig verstanden, was ich da eigentlich machte.
Es ging viel um Interior Design, sehr objektbezogen, sehr elitär – zumindest hatte ich diesen Eindruck. Rückblickend weiß ich: Meine Leidenschaft galt etwas anderem, etwas, das ich erst später wirklich verstanden habe.
Was war Ihre eigentliche Leidenschaft?
Die Stadt. Nicht das einzelne Gebäude, sondern das große Ganze. Die Straße, die Parks, die sozialen Praktiken, die urbanen Logiken – das hat mich fasziniert. Ich habe gemerkt, dass meine Leidenschaft für diese ein bisschen „dreckige“, komplexe Realität der Stadt viel größer ist als für das reine Objekt.
Deshalb bin ich nach Venedig gegangen, um dort mit zwei Urbanistinnen zu studieren, die sich intensiver mit städtischen Zusammenhängen beschäftigten. Dort habe ich meinen Master gemacht und später promoviert. Dazwischen war ich viel in Berlin – und dann bin ich geblieben.
Wie sind Sie nach Berlin gekommen?
Im Rahmen meines Studiums konnte ich ein Erasmus-Jahr machen – und habe Berlin gewählt. Das war 2003. Ich kannte die Stadt von einer Exkursion im Gymnasium im Jahr 1998. Berlin hat mich damals sofort fasziniert: Es war chaotisch, unfertig, lebendig. Anders als Mailand, das ein klares Zentrum hat, war Berlin für mich eine Stadt ohne Zentrum – das hat mich gereizt.
Es war eine Herausforderung – ich sprach kein Deutsch und konnte nicht einmal einen Stadtplan auf Englisch bekommen. Aber ich habe mich trotzdem verliebt – in die Stadt, die Szene, die kulturelle Vielfalt. Und ich wusste: Ich will bleiben.
Was möchten Sie Ihren Studierenden mitgeben?
Vielleicht weniger inhaltlich, sondern eher methodisch: Meine Berufung ist es, Leidenschaft zu vermitteln. Architektur ist nicht nur das Lösen von funktionalen Problemen. Besonders angesichts der aktuellen Klimakrise, sozialer Ungleichheiten und politischer Umbrüche müssen wir alte Werkzeuge hinterfragen – viele stammen aus einer Zeit, in der die moderne Stadt entstand. Ich glaube, wir müssen heute kreativer und politischer denken.
Ich möchte meine Studierenden ermutigen, eine eigene Haltung zu entwickeln. Dazu gehört auch, bestimmte Aufgaben abzulehnen, wenn man nicht hinter ihnen steht. Rebellion gegen eingefahrene Logiken ist manchmal nötig. Und natürlich ist es mir ein Anliegen, Frauen zu empowern – weil ich selbst diesen Support früher vermisst habe. In vielen Situationen ist man als Frau in diesem Beruf immer noch eingeschüchtert oder muss sich besonders behaupten.
Was bedeutet Architektur für Sie heute?
Architektur – oder eher Urbanismus – ist für mich nicht mehr primär die Frage nach der Form eines Gebäudes. Es geht um die Strategien, mit denen wir zusammenleben: mit anderen Menschen, mit anderen Kulturen, mit Tieren, mit der Natur, mit Herausforderungen wie Trockenheit, Überflutung, Dürre. Wir können nicht alles kontrollieren – deshalb ist Resilienz ein zentrales Stichwort. Und Resilienz ist nicht nur technisch, sondern auch geistig. Sie beginnt im Denken.
Welche Ziele haben Sie sich als Professorin gesetzt?
Ich habe viele Ideen – und vielleicht sind sie eher Wünsche als Ziele. Was mir besonders wichtig ist: Kooperation. Ich möchte stärker mit anderen Hochschulen und Kolleginnen zusammenarbeiten. Schon in meinem ersten Semester kooperierte ich mit der TU Berlin – gemeinsam mit einem Kollegen entwickelten wir ein Projekt zum Tempelhofer Feld, bei dem es um das „Nicht-Bauen“ geht. Das ist ein spannendes Experimentierfeld.
Ich wünsche mir, dass unsere Studierenden mehr Einblicke in verschiedene Perspektiven bekommen. Und ich möchte den Bereich Urbanismus an der Hochschule weiter stärken. Auch wenn das vielleicht als naiv gilt – ich finde, Hochschule muss ein Ort des Experiments sein. Später im Berufsleben bleibt dafür oft kein Raum mehr.
Wie erleben Sie Ihre Rolle als Lehrende?
Ich sehe sie als Verantwortung – aber auch als großes Privileg. Ich arbeite mit einer jüngeren Generation, die ich ein Stück weit beeinflussen kann. Und ich lerne auch von ihnen. Meine Rolle ist nicht, fertige Wahrheiten zu vermitteln, sondern gemeinsam mit den Studierenden weiterzudenken. Meine Ziele sind also ganz bewusst ein „work in progress“.
Gibt es noch etwas, das Sie sich wünschen?
Ich wünsche mir mehr Begegnung mit Kolleginnen, mehr Austausch, mehr Zusammenarbeit. Ich arbeite gern im Team, bin neugierig auf die Arbeit anderer – und wünsche mir, dass wir voneinander lernen, uns gegenseitig einladen, Feedback geben. Auch wenn jeder seine eigene Lehre macht, können wir einander inspirieren.
Und ansonsten? Ich freue mich auf das kommende Semester. Ich habe viele Ideen – manchmal sogar so viele, dass ich schlecht schlafen kann. Aber ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.
Vielen Dank für das Gespräch!