HTWK-Alumna Dr. Heide Imai über prägende Studienjahre in Leipzig, Forschung in den Straßen Tokios – und warum Entwurf immer Verantwortung bedeutet.
Frau Dr. Imai, warum haben Sie sich damals für ein Architekturstudium an der HTWK Leipzig entschieden?
Heide Imai: Die Entscheidung für Leipzig war sehr bewusst. Die HTWK stand – und steht – für ein Studium, das Theorie und Praxis auf bemerkenswerte Weise miteinander verknüpft. Mich faszinierte dieses direkte Zusammenspiel von Entwurf, technischer Umsetzung und gesellschaftlicher Verantwortung. Schon damals war spürbar: Architektur wird hier nicht bloß als formale Gestaltung verstanden, sondern als kulturelle Praxis.
Gibt es eine Situation oder Person, an die Sie sich besonders gerne zurückerinnern?
Imai: Unvergessen sind die langen Nächte vor Zwischen- und Endpräsentationen. Gemeinsam mit Kommilitoninnen und Kommilitonen haben wir entworfen, diskutiert, verworfen und neu gedacht – oft bis zum Morgengrauen. Besonders geprägt haben mich die Seminare bei Professorin Anthusa Löffler. Ihre präzise, klare Art des Denkens und ihre hohe gestalterische Sensibilität haben mich tief beeindruckt. Auch die Vorlesungen von Professorin Ingeborg Flagge zur Architekturgeschichte waren prägend: voller Leidenschaft und mit einem feinen Gespür für die kulturellen Zusammenhänge des Bauens.
Welche Erfahrung während Ihres Studiums hat Sie besonders nachhaltig beeinflusst?
Imai: Das Praxissemester in München sowie anschließende Praktika in Amsterdam und Maastricht waren für mich ein Wendepunkt. Was zuvor theoretisch und abstrakt erschien, wurde plötzlich greifbar und konkret. Ich habe verstanden, dass Entwerfen Verantwortung bedeutet – jede Entscheidung beeinflusst den Alltag von Menschen und die Qualität ihrer Lebensräume. Diese Verbindung von Theorie, Erfahrung und Kontext begleitet mich bis heute – sie bildet das Fundament meiner Forschung und Lehre.
Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag an der Senshu University in Tokyo?
Imai: Kein Tag gleicht dem anderen – und genau das schätze ich sehr. Ich halte Vorlesungen, betreue Abschlussarbeiten, forsche im urbanen Raum Tokyos, schreibe wissenschaftliche Artikel und arbeite in internationalen Kooperationen. Ich bewege mich dabei zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, die meinen Blick auf Architektur und Stadt kontinuierlich erweitern.
Was erfüllt Sie an Ihrer derzeitigen Tätigkeit besonders?
Imai: Die Möglichkeit, städtische, gesellschaftliche und architektonische Prozesse ganzheitlich zu betrachten und konkrete Beiträge zur Lösung realer Herausforderungen zu leisten. Themen wie soziale Inklusion, Resilienz oder Nachhaltigkeit verhandle ich nicht nur theoretisch, sondern auch unmittelbar vor Ort: in Gesprächen mit Anwohnern, durch Beobachtungen, Kartierungen oder künstlerische Interventionen. Diese forschende, zuhörende Arbeitsweise ist für mich zentral, und ich gebe sie direkt an meine Studenten weiter.
Gab es Stationen in Ihrem Werdegang, die Sie besonders geprägt haben?
Imai: Ja, zahlreiche. Insbesondere meine akademischen Stationen in Rotterdam, Manchester, Oxford und Kyoto haben mein Denken nachhaltig erweitert. Dort habe ich gelernt, interdisziplinär zu arbeiten, an den Schnittstellen zwischen Architektur, Urbanistik, Soziologie und Kulturwissenschaften. Tokyo ist heute mein Labor, mein Lernraum und eine unerschöpfliche Inspirationsquelle.
Wie hat Sie das Studium an der HTWK auf Ihre heutige Arbeit vorbereitet?
Imai: Die intensive Projektarbeit, die systematische Herangehensweise an Entwurfsprozesse und das kontinuierliche, konstruktive Feedback haben mich gelehrt, präzise zu denken und verantwortungsvoll zu gestalten. Viele Kompetenzen, die heute im Zentrum meiner Forschung stehen – etwa zur kulturellen Resilienz urbaner Räume – haben an der HTWK ihren Ursprung. Ich bin sehr dankbar für diese fundierte und zugleich offene Ausbildung. Sie war für meinen weiteren Weg entscheidend.