Lesen gilt als eine der Fähigkeiten, die typischerweise allein dem Menschen zugeschrieben wird. Doch im Zeitalter der Digitalisierung ist diese Ansicht längst überholt, denn heute können auch Maschinen lesen.
Die Technologie, die es Maschinen ermöglicht, das Lesen „zu lernen“, wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt und nennt sich OCR (Optical Character Recognition), was übersetzt „optische Zeichenerkennung“ bedeutet. Während ein gewöhnlicher Scanner lediglich in der Lage ist, ein Bild des Dokumentes aufzunehmen, ermöglicht die OCR-Technologie es Lesegeräten, die einzelnen Zeichen eines Textes zu erkennen und zu interpretieren. Bei diesem Vorgang entsteht eine Datei, deren Inhalt bearbeitbar und durchsuchbar ist.
Doch zu Beginn der OCR-Entwicklung war es noch nicht möglich, jede beliebige Schrift von optischen Lesegeräten erfassen zu lassen. Die Technologie verlangte eine besondere Schrift, die sowohl menschen-, als auch maschinenlesbar sein sollte. Aus dieser Anforderung heraus entstand in Amerika die OCR-A, eine eher kantige und starre, wenig natürlich wirkende Schrift, wie sie auch heute noch teilweise auf Kreditkarten zu finden ist. Die einzelnen Zeichen dieser Schrift wurden so gestaltet, dass sie in ihrer Form bestmöglich auf die Lesetechnik der Computer eingehen und unverwechselbar sind. Das vermeidet Fehler beim Einlesen.
Willkommen war die OCR-A-Schrift vor allem bei Banken, wo durch das maschinelle Einlesen von Daten Zeit und Personal eingespart werden konnten. Doch auch im Einzelhandel boten OCR-Codes als neue Alternative zu den bis dahin verwendeten Strich- bzw. Balken-Codes einen Vorteil, da sie nicht mehr nur von der Maschine, sondern auch von Menschen gelesen werden konnten.
Doch als die Verwendung von optischen Lesegeräten und OCR-A-Schrift auch in Europa stetig zunahm, gründete sich 1961 die „European Computer Manufacturers Association“ (kurz: ECMA), die sich unter anderem für eine weltweite Standardisierung der optischen Zeichenerkennung einsetzte. So beauftragte sie im Jahre 1963 den Schweizer Schriftdesigner Adrian Frutiger mit der Entwicklung einer neuen, ästhetischeren OCR-Schrift. Diese erschien fünf Jahre später und ist auch heute noch unter dem Namen OCR-B bekannt. Ihre Optik entspricht eher den gewohnten Zeichenformen und ähnelt der Schreibmaschinenschrift ohne Serifen. 1973 wurde die OCR-B zum ISO-Standard erklärt. Wie ihre amerikanische Schwester wird sie hauptsächlich im Bankwesen verwendet, zum Beispiel auf Einzahlungsscheinen.
Durch die Weiterentwicklung von OCR-Systemen wurde die optische Texterkennung im Laufe der Zeit zunehmend genauer und zuverlässiger, wodurch immer individuellere und komplexere Schriften und Zeichensätze eingelesen werden können. Das Erkennen digitaler Schriften ist mittlerweile verhältnismäßig unproblematisch, allerdings stoßen die optischen Lesesysteme vor allem bei Handschriften auch heute noch an ihre Grenzen. So bleiben schließlich doch noch einige Fähigkeiten, in denen der Mensch der Maschine überlegen ist.
Einen tieferen Einblick in die Entwicklung der maschinenlesbaren Schrift OCR-B liefert Adrian Frutiger, "Schriften. Das Gesamtwerk", erschienen im Birkhäuser Verlag.